Die SVP wollte die Schweizer Kandidatur für den UNO-Sicherheitsrat heute im Nationalrat stoppen, blieb aber chancenlos. Die Neutralität sei in Gefahr, mehr denn je, sagte sie. Man müsse sich jetzt erst recht für den Frieden einsetzen, sagten die anderen. Wie die Schweiz ihrer Rolle als Vermittlerin gerecht werden will, sagt Staatssekretärin Livia Leu.
SRF News: Was wäre in diesen Tagen anders, wenn die Schweiz jetzt bereits im UNO-Sicherheitsrat wäre?
Livia Leu: Ich glaube nicht viel. Die Schweiz hat sich sehr klar positioniert. Wie sie es ausserhalb gemacht hat, würde sie es auch im Rat machen.
Die Hoffnung ist doch, dass man mit diesem Einsatz noch besser zur Friedensförderung beitragen kann. Wie soll das konkret gehen?
Wenn man im UNO-Sicherheitsrat sitzt, ist man natürlich mittendrin in den zentralsten Beratungen über Frieden, die es gibt auf der Welt, und kann dort seinen Beitrag leisten.
Wie sich die Schweiz ausserhalb positioniert hat, würde sie sich auch im Sicherheitsrat positionieren.
Aber zeigt der Ukraine-Krieg nicht gerade, wie zahnlos der Sicherheitsrat ist, weil Grossmächte ihr Veto einlegen können?
Es ist nicht nur der Sicherheitsrat, der etwas Mühe hat in diesem Konflikt, auch zahlreiche hohe Staatsträger haben versucht, diesen Konflikt zu verhindern und zu entschärfen. Und es ist leider niemandem gelungen.
Die Schweiz hat mit der Übernahme von Sanktionen gegen Russland klar Position bezogen. Wird das im Sicherheitsrat so weitergehen?
Ja, es würde sich nichts ändern. Wir würden die genau gleichen Entscheide fällen. Der Bundesrat würde zweifellos auch eine Verurteilung der Völkerrechtsverletzungen und des Angriffes vornehmen. Und er würde als Reaktion darauf die Sanktionen wiederum übernehmen.
Die Idee von einer Positionierung ist ja, dass das andere Land auch versteht: Wir sind nicht einverstanden.
Rechtlich besteht die Neutralität weiter. Politisch ist es etwas anderes. Russland hat die Schweiz auf eine Liste unfreundlicher Staaten gesetzt...
Ja, das ist natürlich eine Reaktion darauf. Aber die Idee von einer Positionierung ist ja, dass das andere Land auch versteht: Wir sind nicht einverstanden mit eurem Vorgehen.
Kann so ein Positionsbezug zu heiklen Fragen die Schweiz nicht die Vermittlerrolle kosten, auch in anderen Konflikten?
Das heisst ja nicht, dass die Schweiz nicht mehr neutral wäre deswegen. Und es ist wichtig, das auch zu erklären. Das kann man – sogar Ländern, die man sanktioniert, kann man erklären, warum es nicht anders geht.
Die SVP argumentiert, es brauche einen weissen Fleck auf der Landkarte, wo Konfliktparteien sich treffen können. Ist es für die Schweiz jetzt weniger wichtig, dieser weisse Fleck zu sein?
Die Schweiz hält nach wie vor an ihrer Neutralität und auch an ihrer Politik der guten Dienste fest, und sie wird diese auch fortführen. Und sie wird auch in Zukunft zur Verfügung stehen für solche Treffen.
Heute haben sich Vertreter von Russland und der Ukraine in Antalya getroffen, statt wie ursprünglich geplant in Genf. Überlässt es die Schweiz anderen, für Frieden in Europa zu sorgen?
Dieses Treffen war in diesem Sinne nie in Genf geplant. Das hat sich so ergeben in der internationalen Agenda. Und Präsident Recep Tayyip Erdogan hat sich sehr engagiert. Aber das heisst nicht, dass nicht auch ein späteres Treffen wieder in der Schweiz stattfinden kann.
Auch andere neutrale Staaten haben Position bezogen, innerhalb und ausserhalb des Sicherheitsrates.
Aber ursprünglich war ein Treffen in Genf geplant. Es wurde abgesagt.
Es gab schon ganz viele verschiedene Treffen, angesagte und abgesagte. Es haben auch verschiedene Treffen in Genf stattgefunden, namentlich zwischen Präsident Joe Biden und Präsident Wladimir Putin letztes Jahr.
Das war allerdings vor dieser klaren Positionierung der Schweiz...
Das stimmt, aber das ändert nichts daran. Auch andere neutrale Staaten haben Position bezogen, innerhalb und ausserhalb des UNO-Sicherheitsrates, und sie konnten auch weiterhin gute Dienste leisten. Also da ist keine Barriere, die man damit quasi überschreitet.
Wenn die Schweiz im Sicherheitsrat einen grossen Erfolg erzielen könnte, welcher sollte das sein?
Der grösste Konflikt, den wir haben, ist sicher der Ukraine-Konflikt. Das ist die grösste Sorge. Es gibt aber natürlich auch zum Beispiel die Möglichkeit – und daran wollen wir arbeiten –, dass man im Sicherheitsrat Brücken bauen kann, dass man unser klassisches Profil als Kompromissschmiederin nutzen kann, um im Sicherheitsrat vielleicht auch einmal eine Blockade, wie sie jetzt existiert, überwinden zu können.
Haben Sie die Hoffnung, dass das funktionieren könnte?
Wir müssen einfach daran arbeiten. Ich glaube, man muss immer optimistisch bleiben, wenn man so etwas versucht. Aber man muss auch realistisch bleiben und wissen, wo die Grenzen sind.
Das Gespräch führte Larissa Rhyn.