Der Mann wusste nicht, wie er die Rechnung seiner Mutter begleichen sollte. Es waren 10'500 Franken. Das Geld schuldete er dem Pflegeheim im Kanton Schwyz. Erst Andreas Dummermuth, Präsident der kantonalen AHV-Kassen, konnte den Verzweifelten beruhigen. Er musste den Betrag nicht aus der eigenen Tasche bezahlen.
Für Dummermuth ist der Fall, den er kürzlich erlebt hat, bezeichnend. «Seine Mutter erhält nun 83'000 Franken Ergänzungsleistungen. Soviel kostet die Pflege.» Bei der Pflegeeinrichtung handelt es sich um ein Zwei-Sterne-Heim. «Wenn wir das für den Mittelstand auch machen müssten, explodiert die ganze Sache.»
Krankenkassen bezahlen die Hälfte
Damit das nicht passiert, fordert Dummermuth eine obligatorische Pflegeversicherung – analog zur obligatorischen Krankenversicherung.
Heute berappen die Krankenkassen fast die Hälfte der Kosten für die Pflege im Alter. Maximal 21,60 Franken pro Tag steuern die Heimbewohner bei – egal, wie viel Vermögen und Einkommen sie haben. Den Rest übernehmen Kantone und Gemeinden.
Und dieser Rest fällt ins Gewicht. Vor allem bei den so genannten Ergänzungsleistungen. Diese überweist der Staat allen, die sich den Aufenthalt im Heim nicht leisten können. Die Kosten dafür schockieren Dummermuth: «Wir haben heute ein Kostenvolumen von 4,5 Milliarden Franken erreicht. Das heisst: Zwei Mal die Zürcher Durchmesserlinie bauen, jedes Jahr.»
Diese Kosten müssten sinken, findet er. Und er ist mit dieser Meinung nicht allein. Die SP fordert schon lange eine obligatorische Pflegeversicherung. Auch der Gemeindeverband arbeitet an einem solchen Modell, er steht allerdings damit noch ganz am Anfang.
Dreissig Franken mehr pro Monat
Dummermuth von den AHV-Ausgleichskassen hat hingegen bereits konkrete Ideen. Ihm schweben zwei Möglichkeiten zur Finanzierung der Pflegeversicherung vor. Erstens könnte diese über AHV-Beiträge bezahlt werden. Zweitens über die Krankenkassenprämien. Würde man die Variante mit den Krankenkassenprämien wählen, «dann würde es ausreichen, dass drei Millionen Schweizerinnen und Schweizer dreissig Franken pro Monat mehr bezahlen müssten.»
Doch solche Ideen sind vielen ein Graus. Zum Beispiel bürgerlichen Politikern, die grundsätzlich kein neues Sozialwerk wollen. Oder der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse, die nächste Woche selbst ein Papier zum Thema Pflegeversicherung veröffentlichen wird.
Nur eine andere Umverteilung?
Jérôme Cosandey von Avenir Suisse sagt zu Dummermuths Vorschlag: «Ich habe das Gefühl, dass sowohl bei der Finanzierung über die AHV wie auch mit der Finanzierung über die Krankenkassenprämien überhaupt nichts ändern würde. Man würde einfach eine neue Umverteilung einführen, um eine alte zu ersetzen.»
Avenir Suisse möchte stattdessen dafür sorgen, dass die Leute möglichst lange selbständig bleiben. Zudem soll sich jeder sein Pflegekapital selbst ansparen können, wie in der Pensionskasse.
Skeptische Kantone
Entscheidend wird sein, was die Kantone sagen. Im Moment geben sie sich sehr zurückhaltend. Zu viel sei noch offen, sagt Michael Jordi, Generalsekretär der federführenden Gesundheitsdirektoren. Würde die Versicherung nur für die Pflege oder auch für die Hotellerie gelten? Wer müsste mitzahlen? Wer würde profitieren?
«Alle diese Fragen sind heute noch völlig offen. Das heisst, wir können noch nicht sagen, welche Solidaritäten zwischen Jung und Alt spielen sollen oder nicht mehr spielen sollen und wer am Schluss der Gewinner oder der Verlierer ist.»
Jordi sagt, die heutige Finanzierung sei nicht a priori schlecht. Im nächsten halben Jahr werden die Kantone mit dem Bund dennoch ausführlich über die Themen Ergänzungsleistungen, Pflegefinanzierung und Pflegeversicherung sprechen. Ende Jahr oder Anfang 2015 will der Bundesrat dann eine Auslegeordnung veröffentlichen. Allerdings noch ohne konkrete Empfehlungen. Im Moment will niemand einen Beinbruch riskieren beim Thema Pflege im Alter.