Im neu zusammengesetzten Nationalrat haben zusammengerechnet 19 Bauern oder bauernnahe Vertreter Einsitz. Auf knapp zwei Prozent Anteil der Bauern an der Schweizer Bevölkerung kommen so fast zehn Prozent bäuerliche Vertreter im Nationalrat. Viel wichtiger, aber weniger fassbar sind die landwirtschaftlichen Interessenvertreter in National- und Ständerat (siehe Grafiken). Der Politologe Claude Longchamp sieht diese Agrarlobby als wichtigen Player im Parlament, der es schafft, Politiker aller Parteien für seine Interessen zu mobilisieren.
SRF News: Claude Longchamp, wie gross schätzen Sie den Einfluss der Bauernvertreter im Parlament?
Claude Longchamp: In der Parlamentarischen Gruppe zugunsten der Landwirtschaft hat es über 100 Mitglieder. Die Identifikation mit der Landwirtschaft findet also auch dann statt, wenn ein Politiker selbst nicht oder nicht mehr als Bauer tätig ist.
Vor kurzem gab es zudem eine Untersuchung zum wahrgenommenem Einfluss im Schweizer Parlament. Befragt wurden Parlamentarier, Lobbyisten und Beobachter. Das Resultat zeigt: Generell verlieren Wirtschaftsorganisationen im National- und Ständerat an Rückhalt. Dabei gibt es aber zwei entscheidende Ausnahmen: Der Gewerbeverband und an erster Stelle, der Bauernverband.
Die Identifikation mit der Landwirtschaft findet auch dann statt, wenn ein Politiker selbst nicht oder nicht mehr als Bauer tätig ist.
Diese Umfrage untersucht den wahrgenommen Einfluss. Kann man diese Resultate auch an konkreten Resultaten festmachen?
Ja. Beispielsweise als das Parlament im letzten Jahr entschieden hat, einen restriktiven Kurs zu fahren. Die Landwirtschaft war da die grosse Ausnahme, es wurden sogar noch mehr Ausgaben bewilligt.
Kritiker haben damals von einem Wahlgeschenk gesprochen, welches das Parlament ein Jahr vor den nationalen Wahlen an seine Wähler verteilt habe. Die Landwirtschaftsbefürworter argumentierten hingegen, dass steigende Subventionen in der Zeit des fortschreitenden Strukturwandels zwingend nötig seien.
In der Schweiz arbeiten nur zwei Prozent der Bevölkerung in einem Landwirtschaftsbetrieb. Allgemein stossen die Bauern aber auf grosses Wohlwollen. Wie erklären Sie sich diesen Rückhalt?
Nach dem EWR-Nein herrschte die Meinung, dass der Wirtschaftsstandort Schweiz revitalisiert werden müsse. Dazu gehörten der Abbau von Bürokratie und die Streichung von Subventionen. Dadurch hat der Einfluss der Bauern abgenommen.
Bauern haben gelernt, Politik für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe zu machen. Beispielsweise für ein urbanes, ökologisch denkendes Publikum, das bereit ist, den Preis für ihre Produkte zu zahlen.
Ich denke, der Bauernverband hat diese Herausforderungen aber gut gemeistert und als einer der ersten Verbände gemerkt, dass er schlagkräftiger werden muss. Das heisst: eine überparteiliche Vernetzung und keine Scheuklappen bei der Suche nach Unterstützung im gesamten politischen Spektrum bis hin zu den Grünen. Bauern haben gelernt, Politik für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe zu machen. Beispielsweise für ein urbanes, ökologisch denkendes Publikum, das bereit ist, den Preis für ihre Produkte zu zahlen.
Interessenvertreter gibt es zuhauf, wieso ist ausgerechnet die Bauernlobby so stark?
Ich sehe hier zwei Gründe. Erstens haben viele Schweizerinnen und Schweizer Landwirte in ihrer Verwandtschaft oder unter ihren direkten Vorfahren und dadurch auch einen Teil der traditionellen Lebensweise bewahrt. Man kann sogar sagen, dass viele von uns mental Bauern sind. Leute, die nicht oder nicht mehr in der Landwirtschaft tätig sind, aber Träger eines traditionellen Kulturgutes sind.
Zweitens, die Werbung. Die Werbung generell, aber auch politische Werbung hat sich dem traditionellen Kulturgut über die letzten Jahre stärker angenommen. Das führt zu Werbung, die sich auf Bauern und das Bauernleben bezieht und damit die vorhandenen Sympathien mobilisieren kann.
Wer gewinnt durch die starke Bauernvertretung im Parlament? Und wer verliert?
Das Parlament ist insgesamt wettbewerbsorientierter geworden und bezieht die ökonomischen Rahmenbedingungen vermehrt mit ein. Der heutige Bauer soll nicht nur Subventionsempfänger sein. Stattdessen wird erwartet, dass er unternehmerisch ausgebildet ist und auch so handelt.
Betriebe, welche dieses Gedankengut angenommen haben, haben einen Vorteil. Wer das nicht hat oder nicht realisieren kann, hat einen Nachteil, weil er nicht vorteilhaft unterstützt wird.
Wenn man das neu zusammengesetzte Parlament im Hinblick auf die Bauernvertretung anschaut, welches Bild zeigt sich da?
Bei der restriktiven Finanzlage sind die Rahmenbedingungen für alle schwierig. Trotzdem glaube ich, dass es den Bauern noch immer gelingen wird, Mehrheiten zu finden. Das Parlament ist insgesamt bürgerlicher, rechter und traditioneller geworden. Das wird den Bauern sicher nicht schaden.
Das Gespräch führte Lea Schüpbach.