Am Donnerstag, nach Abschluss der Wartungsarbeiten, sollte wieder russisches Gas durch die Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschland fliessen. Doch ob Russland diese Lieferungen wieder aufnimmt, ist unsicher. Klar ist: Ein kompletter Gaslieferstopp Russlands hätte weitreichende Folgen für ganz Europa, auch für die Schweiz.
Energieministerin Simonetta Sommaruga ist auch deshalb derzeit in Europa unterwegs und trifft sich mit Ministerinnen und Ministern.
SRF News: Würden Sie immer noch sagen, im Winter muss in der Schweiz niemand frieren, weil zu wenig Gas vorhanden ist?
Simonetta Sommaruga: Wir haben einen Krieg in Europa, wir haben eine globale Energiekrise. Die Ungewissheiten sind enorm. Deshalb habe ich jetzt auch in Berlin, wo ich im Moment bin, viele Gespräche geführt mit europäischen Kolleginnen und Kollegen. Wir tun alles dafür, dass wir uns gut absichern können. Wir sind auch abhängig vom Gas, und deshalb versuchen wir uns abzusprechen. Aber die Ungewissheit bleibt, und damit müssen wir wahrscheinlich noch eine Zeit lang leben. Denn diese Energiekrise wird auch nach dem nächsten Winter nicht vorbei sein.
Diese Energiekrise wird auch nach dem nächsten Winter nicht vorbei sein.
Die Energiebranche fordert Solidaritätsabkommen mit den Nachbarländern. Sie sind schon seit Wochen in Verhandlungen. Weshalb ist es so schwierig, handfeste Zusagen zu bekommen?
Ein Solidaritätsabkommen mit Deutschland wurde auch von Deutschland selbst gewünscht. Doch das geht nicht von einem Tag auf den anderen. Und man darf sich auch keine Illusionen machen: Ein Solidaritätsabkommen ist wirklich nur für den allerletzten Notfall. Da muss vorher noch sehr viel geschehen. Wir müssten zuerst Gas kontingentieren, bevor ein solches Abkommen überhaupt greifen würde.
Sie sind jetzt in Berlin, letzte Woche waren Sie in Prag. Bei Ihren Treffen geht es nicht nur um die Energie-, sondern auch um die Klimapolitik. Ist das wirklich der richtige Moment dafür?
Es ist wichtig, dass wir gemeinsam mit allen Staaten schauen, was wir tun können, um die Klimakrise und gleichzeitig die Energiekrise zu bewältigen. Denn es gibt einen Zusammenhang: Wenn wir die einheimischen Energien ausbauen, können wir etwas für eine sichere Versorgung tun. Und gleichzeitig können wir etwas fürs Klima tun.
Andere sagen, der Fokus auf erneuerbare Energien habe uns überhaupt erst in diese Lage gebracht. Die Klimapolitik müsse warten. Was sagen Sie?
Es geht darum, unsere Energieversorgung abzusichern. Und diejenigen, die sich in den letzten Jahren gegen den Ausbau der einheimischen Energien gewehrt haben, müssten jetzt eigentlich sehen, was diese massive Abhängigkeit bedeutet. Die Schweiz hat im Endenergieverbrauch 60 Prozent Öl oder Gas, da sind wir voll vom Ausland abhängig. Und dafür bezahlen wir einen hohen Preis.
Der Ausbau der einheimischen erneuerbaren Energien schafft Unabhängigkeit, Versorgungssicherheit und dient gleichzeitig dem Klima.
Deshalb gibt es nur eine Antwort: der Ausbau der einheimischen erneuerbaren Energien. Das schafft Unabhängigkeit, Versorgungssicherheit und dient gleichzeitig dem Klima. Jetzt müssen wir aber vorwärtsmachen, und alle müssen mitziehen. Wir haben keine Zeit mehr, um da noch länger zuzuwarten und zu verzögern.
Übermorgen wissen wir, ob Russland wieder Gas nach Deutschland liefert. Worauf stellen Sie sich ein?
Wir arbeiten schon lange mit verschiedenen Szenarien. Und natürlich ist der Stopp des russischen Gases eines der Worst-Case-Szenarien, nicht nur für die Schweiz, sondern für ganz Europa. Deshalb ist es so wichtig, dass wir in engem Austausch sind. Wir werden diese Frage nur zusammen mit Europa angehen können. Das ist zentral für uns.
Das Gespräch führte Eliane Leiser.