So liest sich ein Überwachungsprotokoll aus dem Jahr 2003: «10.15 Uhr: Beim Wald hält B. kurz an, geht Wasser lösen. 11.00 Uhr: B. fährt nach Kilchberg und hält dort in der Stockerstrasse. Um 15.15 Uhr kehrt B. zurück in die Praxis. Wir überwachen das Haus bis 18 Uhr.»
Im Auftrag einer Versicherung sollten Privatdetektive überprüfen, wie stark ein vor Jahren verunfallter Tierarzt noch eingeschränkt ist, ob er immer noch Anrecht auf eine 50-prozentige IV-Rente hat.
Die Sendung Kassensturz berichtete über den Fall und liess den Verdächtigten, der ein halbes Jahr überwacht worden war, zu Wort kommen: «Ich habe gemerkt, dass ich ein Krimineller sein soll.»
Einsparungen höher als der Aufwand
Auch die Versicherungsbranche konnte Stellung nehmen: «Es ist unbestritten, dass die Summe, die wir durch die Aufdeckung von Betrugsfällen einsparen, höher ist als der Aufwand.» Deshalb bauten Versicherungen und IV-Stellen ab den 1990er-Jahren ihre Bemühungen aus, um sogenannte schwarze Schafe zu finden, die nach ihren Schätzungen bis zu zehn Prozent ihrer Versicherten ausmachten.
Solche Überwachungen seien juristisch unhaltbar, fand bereits damals der Anwalt Philip Stolkin: «Immer dann, wenn eine Versicherung Verluste macht, kommt man auf die Idee: Es gibt ja noch Detektive. Und was sieht man in den Berichten? Oh, er lächelt, er fährt Auto, sie trägt vielleicht hohe Absätze.» Stolkin zog einen Fall bis nach Strassburg und erhielt im Jahr 2016 Recht.
Immer dann, wenn eine Versicherung Verluste macht, kommt man auf die Idee: Es gibt ja noch Detektive.
SRF berichtete über das Urteil: «Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sagt, das gehe so nicht, weil in der Schweiz die gesetzliche Grundlage für eine derartige Überwachung fehlt.» Danach stellten die Versicherungen und später auch die IV-Stellen ihre Überwachungen ein. Sie machten aber klar, dass sie eine Gesetzesgrundlage wollen.
Referendum gegen das neue Gesetz
Bundesrat und Parlament machten sich unverzüglich an die Arbeit und verabschiedeten ein Gesetz, dass bei Verdacht auf Missbrauch von Sozialversicherungen Überwachungen zulässt. Es hält die Bedingungen für solche Überwachungen sowie die Mittel und die maximale Dauer fest.
Eine Gruppe um Anwalt Stolkin, Jungpolitiker Dimitry Rougy und Autorin Sibylle Berg ergriff das Referendum. Ohne die bevorstehende Abstimmung wäre das Gesetz Anfang 2019 in Kraft getreten.