Wenn es um die drohende Entlassungswelle bei den Banken nach der Übernahme der Credit Suisse geht, dann ist er stets zur Stelle: Michael von Felten, Präsident des Schweizerischen Bankpersonalverbandes. Ein Gewerkschafter mit Haut und Haaren, der ausschliesslich für die Bankangestellten kämpft, könnte man meinen.
Doch jetzt zeigen Recherchen von «10vor10», Von Felten hat bei der Bankgewerkschaft nur einen Teilzeitjob. In seinem zweiten Job arbeitet er für das Haus der Wirtschaft in Pratteln/BL, dem Sitz des Baselbieter Gewerbeverbandes, der sich Wirtschaftskammer nennt. Von Felten ist bei diesem Verband von Arbeitgebern zuständig für Dienstleistungen für Mitglieder. Unter diesen Mitgliedern ist etwa die Raiffeisenbank, die Basellandschaftliche Kantonalbank, ja sogar die Credit Suisse, bei der jetzt die grosse Entlassungswelle droht.
«Es gibt keinen Interessenkonflikt»
Für ihn kein Problem, gleichzeitig für beide Seiten zu arbeiten: Arbeitnehmer und Arbeitgeber: «Zwischen diesen zwei Aufgaben gibt es keinen Interessenskonflikt. Bei der Wirtschaftskammer habe ich keine politische Aufgabe, sondern bin zuständig für die Entwicklung von Serviceleistungen. Beim Bankenpersonalverband setze ich mich dafür ein, dass es möglichst wenig Arbeitsplatzabbau, möglichst wenig Entlassungen gibt bei der Übernahme der Credit Suisse.»
Vom Dachverband, dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB), bekommt er Rückendeckung: Die Aufgabe beim Gewerbeverband habe nichts mit der Aufgabe von Michael von Felten beim Bankpersonalverband zu tun, sagt Chefökonom des SGB, Daniel Lampart: «Die Banken müssen sich warm anziehen, solange Herr von Felten Präsident beim Bankpersonalverband ist.»
Tanzen auf zwei Hochzeiten?
Ganz anders sieht das die ehemalige Geschäftsführerin der Schweizerischen Bankengewerkschaft: Man könne doch nicht auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen, sagt Denise Chervet. Sie war von 2009 bis 2021 Geschäftsführerin beim Bankpersonalverband. Seit zwei Jahren ist sie pensioniert. Dass der neue Präsident gleichzeitig auch beim Gewerbeverband arbeitet, überrasche und irritiere sie: «Ich glaube nicht, dass er direkt unter Druck gesetzt wird, aber die Unabhängigkeit im Kopf, das ist ein echtes Problem.»
Denn wer glaube, Verhandlungen mit Banken über Sozialpläne seien einfach, täusche sich gewaltig. Verhandlungen mit den Banken seien hart. Sie befürchte, dass von Felten wegen seiner Doppelrolle bei Verhandlungen nicht die nötige Härte zeige, die gerade in dieser grossen Krise besonders nötig sei.
Auch der emeritierte Professor für Arbeitsrecht der Uni Sankt Gallen, Thomas Geiser kritisiert die Doppelrolle des Gewerkschaftschefs. «Dass er Verhandlungen führt und gleichzeitig für einen Arbeitgeberverband arbeitet, das scheint mir doch sehr, sehr, sehr schwierig.» Denn die Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern seien gegensätzlich.
Es komme zwar vor, dass jemand die Seiten wechsle, von der Gewerkschaft zu den Arbeitgebern oder umgekehrt, dass aber dieselbe Person gleichzeitig für beide arbeite, das habe es in der Schweiz zuletzt in den 1960er Jahren gegeben. Damals habe ein Arzt den Verband der medizinischen Praxisassistentinnen präsidiert. Geiser befürchtet, dass die Doppelrolle des Bankgewerkschafters sich über die Bankenbranche hinaus auswirken werde, denn der mit den Banken ausgehandelte Sozialplan werde Massstab sein für eine nächste Branche mit einer Entlassungswelle.
Schwierige Verhandlungen stehen an
Kritik gibt es am obersten Bankgewerkschafter auch an seiner Rolle als Arbeitgeber bei der Gewerkschaft. Die ehemalige Geschäftsführerin der Bankgewerkschaft, Denise Chervet, beobachtet, dass er seit er am Ruder ist bei der Bankgewerkschaft, Stellen ausgelagert oder gestrichen habe wie jene des langjährigen Sekretärs in der Westschweiz. Er habe damit die Gewerkschaft geschwächt, kritisiert sie.
Bevor Von Felten zur Bankgewerkschaft kam, war er Delegierter des Vorstandes bei einer Kontrollstelle für das Baugewerbe, der Arbeitsmarktkontrolle für das Baugewerbe (AMKB) in Pratteln. Dort wurde unter seiner Ägide fast das komplette Personal ausgetauscht, viele mit langjähriger Erfahrung. Er selbst weist diese Kritik zurück: «Wenn man einen Verband wie den Bankpersonalverband neu ausrichtet, dann ist es Aufgabe des Präsidenten zusammen mit dem Vorstand und der Geschäftsführung, auch schwierige Entscheide zu treffen. Das mussten wir und dafür übernehme ich als Präsident auch die Verantwortung», sagt er.
Für das Bankenpersonal steht in den nächsten Monaten sehr viel auf dem Spiel. Auch wenn der oberste Bankgewerkschafter überzeugt ist, dass es keinen Interessenkonflikt gebe. Am Ende bleibt die Frage, ob die Verhandlungsposition eines Gewerkschaftsbosses nicht geschwächt wird, wenn die Gegenseite weiss, dass er in seinem zweiten Job auch für Arbeitgeber arbeitet.