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Stau bei Baubewilligungen So verzögern Anwälte Bauprojekte trotz Wohnungsnot

Gegen den Mangel an Wohnraum in Städten wäre der Bau von mehr Wohnungen ein taugliches Mittel. Ausgerechnet jetzt droht der grosse Stau bei den Baubewilligungen in Städten. Grund ist «Isos», das Inventar schützenswerter Ortsbilder.

In Zürich wird aktuell fleissig gebaut. Noch, aber nicht mehr lange? Viele Bauprojekte, die aktuell im Bewilligungsverfahren sind, könnten langwierige Verzögerungen erleiden – oder vielleicht gar nie gebaut werden.

Mit einem blauen Auge davongekommen ist Balz Roth. Er und sein Bruder wollen auf ihrem Grundstück in Zürich-Schwamendingen ein Mehrfamilienhaus mit 23 Wohnungen bauen.

Nun dürfen sie bauen, aber: «Die Bewilligung haben wir mit sechs Monaten Verzögerung bekommen. Das kostet uns mehrere 100’000 Franken», sagt Roth.

Schützenswerte Ortsbilder Grund für Verzögerung

Die Verzögerung hat einen Namen: «Isos», das Inventar der schützenswerten Ortsbilder. Im Normalfall vergibt die Gemeinde die Baubewilligung und wacht darüber, dass das Ortsbild erhalten bleibt. Ist aber in einem Projekt ein Schutzraum geplant, muss die Gemeinde das Projekt an Kanton oder Bund weiterreichen.

«Isos»-Direktanwendung: So verzögern Anwälte Bauprojekte

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Findige Anwälte haben ausgemacht, dass sich mit dem Ortsbildschutz einfach Bauprojekte in Zürich verhindern und verzögern lassen. Ist ein Bauprojekt in oder neben einem Gebiet, das im «Isos» verzeichnet ist, können Einsprecher geltend machen, dass der Ortsbildschutz bei der Baubewilligung für einen Neu- oder Umbau nicht ausreichend abgeklärt worden sei.

Mehrere Gerichtsurteile haben fatale Folgen für die Bautätigkeit: Tangiert ein Bauprojekt ein Thema, für das der Bund zuständig ist, muss die Gemeinde das Baugesuch an den Kanton oder Bund weitergeben. Dort werden nicht nur betroffene Bundesaufgaben (Gewässerschutz und Grundwasser im Speziellen, Schutzräume, Fotovoltaikanlagen, Handyantennen) überprüft und bewilligt, sondern zwingend auch der Ortsbildschutz. Dieser Prozess heisst «Isos»-Direktanwendung.

Das führt zu längeren Verfahren, besonders dann, wenn der Ortsbildschutz von der Natur- und Heimatschutzkommission NHSK des Bundes beurteilt wird. Die Verzögerung ist dabei noch das kleinere Problem. Entscheidet die Kommission aus Architektinnen, Biologen und Geografinnen, dass ein Bauprojekt das Ortsbild beschädigt, kann das Bauprojekt geschreddert werden.

Die Kommission nimmt nämlich keine Interessenabwägung vor. Die Gemeinde, die die Baubewilligung ausführend erteilt, kann einen Bescheid der Kommission nur noch gegen Bundesinteressen abwägen. Das wären etwa der Bau einer Autobahn oder eines Bahnhofs. Dringend benötigte Wohnungen gelten nicht als Bundesinteresse. Ein abschlägiges Urteil der Kommission kommt faktisch einem Veto gleich.

In diesem Fall muss auch zwingend der Ortsbildschutz separat beurteilt werden – vom Kanton oder gar von einer Bundeskommission.

Das kann Monate oder Jahre dauern. Absurd: Baut ein Nachbar ein Haus ohne Schutzraum gleich daneben, ist die «Isos»-Abklärung von höherer Stelle nicht nötig.

Strassenszene mit geparkten Autos und Wohnhäusern im Winter.
Legende: Eine Augenweide? Auch dieses Quartier in Zürich-Schwamendingen zählt gemäss Isos zu den «schützenswerten Ortsbildern von nationaler Bedeutung». SRF

«Der Bund sollte in unserem funktionierenden föderalistischen System nicht in solche Entscheide eingreifen», empört sich Bauherr Roth. Auch verstehe er nicht, dass die wenig einladende Umgebung geschützt sein soll.

Besonders betroffen sind grosse Projekte von Wohngenossenschaften. Die gemeinnützige Wohngenossenschaft Asig, die nach 15 Jahren sorgfältiger Planung zusätzliche 500 Wohnungen bauen will, befürchtet nun, dass das Projekt kurz vor der Baubewilligung verzögert wird oder scheitern könnte.

Das sind genau die Projekte, die uns besonders wehtun.
Autor: Martin Schneider Stadt Zürich

Für Martin Schneider von der Stadt Zürich ist die Situation unhaltbar: «Das sind genau die Projekte, die uns besonders wehtun. Wir brauchen dringend mehr preisgünstige Wohnungen in Zürich.»

Er spricht von 4000 Wohnungen, die nun in ein kompliziertes Verfahren geraten könnten.

Ein gewisser nationaler Standard muss bestehen, damit die wichtigsten Ortsbilder erhalten bleiben.
Autor: Oliver Martin Leiter Sektion Baukultur

Für das zuständige Bundesamt für Kultur ist klar, dass es die Hoheit über «Isos» behalten müsse, wie Oliver Martin, Leiter der Sektion Baukultur, sagt.

Mann mit Brille vor Bücherregal.
Legende: Oliver Martin findet, das Bundesamt für Kultur müsse die Hoheit über «Isos» behalten. SRF

«Ein gewisser nationaler Standard muss bestehen, damit die wichtigsten Ortsbilder erhalten bleiben.» Sonst könnten Siedlungen für Projekte geopfert werden, die zwar für eine Gemeinde wichtig seien, dabei aber nationales Kulturerbe beschädigten.

Blick aus dem Fenster auf städtische Landschaft mit Hügeln im Hintergrund.
Legende: In Zürich wird zurzeit fleissig gebaut. So auch hier: Am Escher-Wyss-Platz entsteht eine neue städtische Wohnsiedlung. KEYSTONE/Michael Buholzer

Martin Schneider von der Stadt Zürich hingegen möchte, dass die Gemeinden den Ortsbildschutz in allen Fällen selber beurteilen können: «Wir würden uns wünschen, dass man den Gemeinden, die die Fachexpertise haben, auch wieder zutraut, ‹Isos› umzusetzen. Dafür braucht es keine übergeordnete Stelle.»

Problem könnte sich ausweiten

Das Problem der «Isos»-Anwendung dürfte sich bald auf weitere Städte und Gemeinden ausweiten. Die Stadt Zürich ist deshalb stark betroffen, weil 75 Prozent der bebauten Fläche im Inventar Isos verzeichnet sind und grosse Teile der Stadt im Grundwassergebiet liegen. Das Grundwasser gehört zu den Bundesaufgaben wie Schutzräume, Fotovoltaikanlage oder Handyantennen.

Inventar für schützenswerte Ortsbilder «Isos»

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Im Inventar der schützenswerten Ortsbilder von nationaler Bedeutung «Isos» sind alle Ortsbilder verzeichnet, die besonders wertvoll sind. Die Definition geht dabei sehr weit – mit Folgen: In der Stadt Lausanne sind mehr als 70, in der Stadt Zürich 75 Prozent der besiedelten Fläche in diesem Inventar enthalten. Das Inventar selber ist breit akzeptiert und wird von Gemeinden bei der Bewilligung von Bauvorhaben in die Interessenabwägung einbezogen. Andere Interessen sind etwa Verkehrserschliessung, Lärmschutz, Natur- und Umweltschutzanliegen.

10 vor 10, 10.02.2025, 21:50 Uhr

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