In Zürich wird aktuell fleissig gebaut. Noch, aber nicht mehr lange? Viele Bauprojekte, die aktuell im Bewilligungsverfahren sind, könnten langwierige Verzögerungen erleiden – oder vielleicht gar nie gebaut werden.
Mit einem blauen Auge davongekommen ist Balz Roth. Er und sein Bruder wollen auf ihrem Grundstück in Zürich-Schwamendingen ein Mehrfamilienhaus mit 23 Wohnungen bauen.
-
Bild 1 von 2. Das Grundstück war lange ein leer stehender Bauplatz, dennoch kam es zu langen und teuren Verzögerungen. Bildquelle: SRF.
-
Bild 2 von 2. Balz Roth möchte hier ein Mehrfamilienhaus mit 23 Wohnungen bauen. Bildquelle: SRF.
Nun dürfen sie bauen, aber: «Die Bewilligung haben wir mit sechs Monaten Verzögerung bekommen. Das kostet uns mehrere 100’000 Franken», sagt Roth.
Schützenswerte Ortsbilder Grund für Verzögerung
Die Verzögerung hat einen Namen: «Isos», das Inventar der schützenswerten Ortsbilder. Im Normalfall vergibt die Gemeinde die Baubewilligung und wacht darüber, dass das Ortsbild erhalten bleibt. Ist aber in einem Projekt ein Schutzraum geplant, muss die Gemeinde das Projekt an Kanton oder Bund weiterreichen.
In diesem Fall muss auch zwingend der Ortsbildschutz separat beurteilt werden – vom Kanton oder gar von einer Bundeskommission.
Das kann Monate oder Jahre dauern. Absurd: Baut ein Nachbar ein Haus ohne Schutzraum gleich daneben, ist die «Isos»-Abklärung von höherer Stelle nicht nötig.
«Der Bund sollte in unserem funktionierenden föderalistischen System nicht in solche Entscheide eingreifen», empört sich Bauherr Roth. Auch verstehe er nicht, dass die wenig einladende Umgebung geschützt sein soll.
Besonders betroffen sind grosse Projekte von Wohngenossenschaften. Die gemeinnützige Wohngenossenschaft Asig, die nach 15 Jahren sorgfältiger Planung zusätzliche 500 Wohnungen bauen will, befürchtet nun, dass das Projekt kurz vor der Baubewilligung verzögert wird oder scheitern könnte.
Das sind genau die Projekte, die uns besonders wehtun.
Für Martin Schneider von der Stadt Zürich ist die Situation unhaltbar: «Das sind genau die Projekte, die uns besonders wehtun. Wir brauchen dringend mehr preisgünstige Wohnungen in Zürich.»
-
Bild 1 von 2. Martin Schneider von der Stadt Zürich möchte, dass die Gemeinden den Ortsbildschutz in allen Fällen selber beurteilen können. Es brauche dafür keine übergeordnete Stelle. Bildquelle: SRF.
-
Bild 2 von 2. Geplante Wohnprojekte: Eigentlich sollte in Zürich mehr günstiger Wohnraum entstehen. Nun sind diverse Projekte möglicherweise von Verfahren betroffen. Bildquelle: SRF.
Er spricht von 4000 Wohnungen, die nun in ein kompliziertes Verfahren geraten könnten.
Ein gewisser nationaler Standard muss bestehen, damit die wichtigsten Ortsbilder erhalten bleiben.
Für das zuständige Bundesamt für Kultur ist klar, dass es die Hoheit über «Isos» behalten müsse, wie Oliver Martin, Leiter der Sektion Baukultur, sagt.
«Ein gewisser nationaler Standard muss bestehen, damit die wichtigsten Ortsbilder erhalten bleiben.» Sonst könnten Siedlungen für Projekte geopfert werden, die zwar für eine Gemeinde wichtig seien, dabei aber nationales Kulturerbe beschädigten.
Martin Schneider von der Stadt Zürich hingegen möchte, dass die Gemeinden den Ortsbildschutz in allen Fällen selber beurteilen können: «Wir würden uns wünschen, dass man den Gemeinden, die die Fachexpertise haben, auch wieder zutraut, ‹Isos› umzusetzen. Dafür braucht es keine übergeordnete Stelle.»
Problem könnte sich ausweiten
Das Problem der «Isos»-Anwendung dürfte sich bald auf weitere Städte und Gemeinden ausweiten. Die Stadt Zürich ist deshalb stark betroffen, weil 75 Prozent der bebauten Fläche im Inventar Isos verzeichnet sind und grosse Teile der Stadt im Grundwassergebiet liegen. Das Grundwasser gehört zu den Bundesaufgaben wie Schutzräume, Fotovoltaikanlage oder Handyantennen.