Zum Auftakt der ersten «normalen» Session ging es keine zehn Minuten, bis das Argument Corona fiel. Man sei in einer neuen Situation, warnte Albert Rösti. Arbeitgeber würden wegen Corona erst recht ältere Arbeitskräfte in die Überbrückungsrente abschieben. Deshalb dürfe man das neue «Sozialwerk» auf keinen Fall einführen. Was der Noch-SVP-Chef nicht sagte: Seine Partei war stets gegen die Überbrückungsleistung. Nicht nur, weil sie kostet, sondern weil sie Teil des Kampfs gegen ihre sogenannte Begrenzungsinitiative gegen die Personenfreizügigkeit (PFZ) ist.
Mühsames Gefeilsche
Die Überbrückungsrente ist für den Bundesrat und eine Parlamentsmehrheit entscheidendes Puzzleteil im Kampf gegen die Initiative. Mit dieser Rente räumt der Bundesrat ein, dass die PFZ neben all den Vorteilen auch Nachteile für ältere Arbeitnehmende mit sich bringen kann. Es gibt Fälle, in denen ältere Schweizer durch jüngere, günstigere Arbeitskräfte aus dem EU-Raum ersetzt werden. Für solche – wenigen – Fälle und generell für ältere Arbeitslose soll die Überbrückungsrente geschaffen werden. So konnte der Bundesrat auch die Gewerkschaften mit an Bord holen, die beherzt gegen die SVP-Initiative kämpfen wollen.
Was nach einem perfekten Plan aussah, ist im Parlament zu einem mühsamen Streit um jeden Franken verkommen. Wie viel sollen Betroffene maximal erhalten? Sollen Krankheitskosten eingerechnet sein? Über solche Details wurde schon in der Frühlingsession gestritten. Eine Einigung war nicht möglich, weil die Session abgebrochen wurde.
Absturz unwahrscheinlich
Das Parlament muss nun eine Lösung finden. Denn im September findet die Abstimmung über die Begrenzungsinitiative statt. Nachdem der Nationalrat zuletzt nicht alle Differenzen ausräumen konnte, kommt die Vorlage in die Einigungskonferenz. Dass sie abstürzt, kann nicht ausgeschlossen werden, ist aber eher unwahrscheinlich. Denn eine klare Mehrheit des Parlaments will die Überbrückungsleistung als eine Art Gegenvorschlag zur SVP-Initiative präsentieren.
Auch SP und Grüne argumentierten mit Corona: Weil in den nächsten Monaten mehr Ältere ihre Stelle verlieren könnten, brauche es erst recht eine solche Leistung.
Referendum als Drohkulisse
Die SVP überlegt nun laut, das Referendum gegen das neue «Sozialwerk» zu ergreifen. Es wäre ein schlechtes Szenario für die breite Gegnerschaft der Begrenzungsinitiative. Wenn die Überbrückungsleistung nicht steht, kann man sie im Abstimmungskampf nicht richtig ins Feld führen.
Die SVP muss sich allerdings gut überlegen, ob sie einen solchen Kraftakt, ein Referendum in Corona-Zeiten, wirklich stemmen will. Denn die Partei plant auch ein Referendum gegen das CO2-Gesetz und könnte sich verzetteln.
Das Allzweck-Argument
So bleibt es wahrscheinlich bei der Referendums-Drohung und der Warnung, die Schweiz könne sich die Überbrückungsrente wegen der Corona-Schulden nicht leisten. Ein Argument, das in dieser ersten «normalen» Session wohl immer zu hören sein wird, wenn es ums Geld geht. Bei der geplanten Abschaffung der Industriezölle wird dann vor allem Mitte-Links argumentieren, solche Steuerausfälle seien für den Bund in Corona-Zeiten nicht verkraftbar.
Beim CO2-Gesetz wiederum werden rechte Parlamentarier warnen, eine Flugticketabgabe würde die kriselnde Airline-Branche nicht verkraften. Die Pandemie passt als Argument für und gegen praktisch Alles, was in den Berner Messehallen in den nächsten drei Wochen an dieser speziellen Sommersession diskutiert wird.