Der neueste UNO-Drogenbericht spricht von einer versteckten Drogen-Epidemie unter den älteren Generationen. Auch in der Schweiz gebe es dieses Problem, vor allem mit Medikamenten und Alkohol, sagt die Psychologin und Drogentherapie-Expertin Sabin Bührer.
Um zu helfen sei es wichtig, nicht wegzuschauen, wenn man – etwa als Angehörige – einen möglichen Missbrauch vermutet.
SRF News: Wie gross ist das Problem der Drogensucht unter älteren Menschen in der Schweiz?
Sabin Bührer: Auch in der Schweiz muss man von einer versteckten Drogen-Epidemie unter älteren Menschen sprechen. Sucht ist neben Sexualität das am weitesten verbreitete Tabu im Alter. Weil nicht über die Problematik gesprochen wird, wird sie nicht erkannt und es kommt nicht zu Behandlungen. Wir wissen, dass Medikamente, Alkohol und Tabak gerade bei älteren Menschen ein grosses Thema sind und auch problematischer Konsum betrieben wird.
Ältere nehmen oftmals vom Hausarzt verschriebene Schlaf- und Schmerzmedikamente ein. Sind sie auch Opfer ihrer Ärzte?
Sicher ist: Lange Zeit herrschte die Meinung vor, bei älteren Menschen müsse man sich punkto Abhängigkeiten von Medikamenten keine grösseren Gedanken machen. Das hat sich in den letzten Jahren stark verändert.
Ärzte sind beim Verschreiben von Medikamenten viel zurückhaltender geworden.
Inzwischen sind Ärzte, die mit älteren Menschen arbeiten, beim Verschreiben von Medikamenten viel zurückhaltender geworden. Es wird jetzt viel differenzierter und sorgfältiger verordnet als früher.
Wieso nehmen die älteren Menschen trotzdem mehr rezeptpflichtige Medikamente ein?
Im Alter nehmen die körperlichen Beschwerden zu, die Leistungsfähigkeit nimmt ab, der Tod und die Endlichkeit des Lebens werden zum Thema. Auch verkleinert sich oftmals das soziale Netz, es kommt zu Verlust-Erlebnissen, wenn Bekannte sterben.
Der Griff zu Medikamenten oder Alkohol als Problemlöser.
Die Einsamkeit nimmt zu. So ist der Griff zu Medikamenten oder Alkohol aus der Sicht der Betroffenen eine mögliche Strategie, um diese Probleme zu lösen. Und weil heute viel mehr ältere Menschen leben als früher, gibt es auch mehr ältere Menschen mit Suchtproblematiken.
Schlafprobleme, chronische Schmerzen: Ab wann wird die Einnahme von Medikamenten zur Sucht?
Das zu definieren ist einer der ganz schwierigen Knackpunkte. Es gibt keine einheitlichen Leitlinien, wann beispielsweise bei der Einnahme von Schmerzmedikamenten von einer Sucht gesprochen werden muss. Entsprechend herausfordernd ist es, das zu erkennen. Hinzu kommt das Tabu, dass Medikamente und Alkohol im Alter ein Problem sein können.
Es ist ein Tabu, dass Medikamente und Alkohol im Alter ein Problem sein können.
Alles, was tabuisiert ist, ist immer auch mit Scham behaftet. Das heisst: Betroffene sprechen das Thema nicht an und auch Angehörige oder Nahestehende nicht – auch wenn sie etwas bemerken. Wichtig ist, ganz genau zu beachten, ab wann unerwünschte Nebenwirkungen auftreten – wie Unsicherheit im Alltag, Stürze oder Ähnliches. Das kann im Alter auf eine mögliche Medikamenten- und/oder Alkoholabhängigkeit hindeuten.
Was kann man gegen die versteckte Drogen-Epidemie bei älteren Menschen tun?
Hinschauen, ansprechen, nachfragen und Unterstützung anbieten: Das sind dazu die vier wichtigen Stichworte. Das trägt zur Enttabuisierung bei, so kann man mit Betroffenen oder Angehörigen in einen Dialog treten.
Hinschauen, ansprechen, nachfragen und Unterstützung anbieten.
Denn: Behandlungen von Suchterkrankungen im Alter sind mindestens so erfolgreich wie jene bei jüngeren Personen. Es lohnt sich also, etwas zu tun und Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Das Gespräch führte Claudia Weber.