Es gibt immer noch viel, was man nicht weiss über das Coronavirus. Was aber inzwischen ziemlich klar ist: Es verbreitet sich nicht schön brav gleichmässig vom einen zum nächsten. Nein – es verhält sich ausgesprochen sprunghaft.
«Viele Personen stecken niemanden an oder nur eine Person, aber gewisse Personen stecken sehr viele an», sagt Marcel Salathé, Epidemiologe an der ETH Lausanne. Es ist eine Eigenschaft, die auf der einen Seite nervt, das Virus wird dadurch unberechenbarer. Man kann diese Überdispersion, wie dies die Fachleute nennen, aber auch positiv sehen und versuchen, sie zu nutzen.
Hinweis auf gleichen Ansteckungsort
Real zeigt sie sich darin, dass sich das Virus vor allem in sogenannten Super-Spreading-Events oder Clustern verbreitet. Die Idee wäre jetzt, dass Contact-Tracer versuchen, diese Super-Spreading-Events schnell zu finden. «Es geht dabei nicht einmal darum, wer das war, sondern eher wo», sagt Salathé.
Wenn plötzlich Personen im System auftauchten, die alle an demselben Event waren und alle in diesem Zeitraum hätten angesteckt werden können, so sei das ein mögliches Indiz dafür, dass es sich bei dem Event um einen sogenannten Cluster handle. «Und da sind vielleicht noch ganz viele Personen, die auch angesteckt worden sind, die das aber nicht wissen, weil sie asymptomatisch sind.» Das sei ein grosses Problem mit dieser Krankheit.
Es geht dabei nicht einmal darum, wer der Super-Spreader war, sondern eher wo.
Ein Beispiel: Den Contact-Tracern fällt auf, dass es erstens mehr Fälle gibt und die Betroffenen zweitens alle vor sechs Tagen an einer Hochzeit waren. Der Verdacht: Das könnte die Quelle all dieser Infektionen sein. «Wenn man einen solchen Cluster identifiziert hat mit diesem Rückwärts-Tracing, dann ist das natürlich noch nicht das Ende», so Salathé. «Dann muss man ja trotzdem das Forward-Tracing machen mit all den Personen, die an diesem Event waren. »
Gerade weil das Coronavirus sich so unstet verhält und so oft an einzelnen Orten durch einzelne Personen so viele angesteckt werden und anderswo keine, würde man, wenn man sich stärker auf diese Cluster konzentriert, viel eher dort nach Infizierten suchen, wo es sich auch lohnt, so der ETH-Forscher.
Neue Empfehlung ist in Arbeit
Ein Stück weit wird das längst gemacht. Jeder Contact-Tracer denkt natürlich darüber nach, wo die Quelle der Infektion sein mag, wenn er einen Infizierten vor sich hat. Aber das sogenannte Backward-Tracing – oder Rückwärts-Tracing – will dem mehr Gewicht geben und das Vorgehen systematisieren.
Mit Checklisten zum Beispiel, wo Cluster besonders häufig entstehen: in Discos, bei Chören, Kegelabenden und eben Hochzeiten. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) arbeitet zurzeit an einer neuen Empfehlung, die Vorschläge enthalten wird, was das konkret für die Contact-Tracer bedeuten könnte.