Die Fachexperten des Bundes rechnen in den nächsten Tagen mit weiterhin steigenden Zahlen bei Neuinfektionen und Hospitalisierungen. Um eine Überlastung der Spitäler zu verhindern, müsse die Viruszirkulation reduziert werden, sagt Tanja Stadler, Präsidentin der Covid-19-Taskforce des Bundes.
SRF News: Wir haben Interviews wie dieses monatelang ohne Maske geführt. Sie möchten das Interview jetzt aber gerne mit Maske machen. Wieso?
Tanja Stadler: Die Fallzahlen steigen, die Spitäler füllen sich wieder. Und etwa sechs Monate nach der doppelten Impfung nimmt der Schutz gegen Infektionen ab. Da kann man eine zweite Schutzschicht aufbauen, indem man Masken trägt, um die Viruszirkulation zu bremsen.
Sie haben heute in der Medienkonferenz einen Vergleich mit Österreich gemacht. Was sagt uns dieser Vergleich? Sind wir zwei bis drei Wochen im Rückstand, oder ist die Situation eine komplett andere?
Die Situation ist sehr vergleichbar, einfach im Zeitverzug. Ungefähr vor drei Wochen hat Österreich die Inzidenzen gehabt, die wir heute in der Schweiz haben. Und in beiden Ländern gehen die Zahlen mit der gleichen Dynamik nach oben – nämlich einer Verdoppelung alle zwei Wochen.
Die Situation in der Schweiz ist mit jener in Österreich gut vergleichbar, einfach im Zeitverzug.
Wenn man die Hospitalisierungen und die Todesfälle anschaut, dann sind wir doch viel tiefer?
Bei der Spitalbelegung sind wir Österreich etwa fünf Wochen hinterher. Sie sind einfach höher gestartet, weil sie vom Sommer und Herbst her noch mehr Personen im Spital hatten. Aber von der Dynamik her ist es genau das Gleiche.
Das heisst, wir müssen damit rechnen, dass wir in drei bis fünf Wochen genau dort sind, wo jetzt Österreich ist.
Wir rechnen in der Tat damit, dass die Spitalbelastung in den nächsten Tagen und Wochen nach oben geht. Und alles darüber hinaus haben wir jetzt in der Hand.
Was heisst das? Was muss man jetzt machen?
Im Endeffekt das, was wir seit knapp zwei Jahren über das Virus wissen. In Innenräumen, wo viele Leute eng aufeinander sind, da ist das Ansteckungsrisiko erhöht. Diese Situationen muss man entweder vermeiden oder das Risiko minimieren, zum Beispiel, indem man Masken trägt.
Wir hatten vor einem Jahr eine ähnliche Situation. Damals gab es die gleichen Appelle wie jetzt. Genützt hat es nichts. Danach musste der Bundesrat das Zepter wieder in die Hand nehmen.
Es gibt verschiedene Wege, um die Viruszirkulation zu senken. Entweder passen die Leute ihr Verhalten an oder die Kantone treffen Massnahmen oder der Bundesrat tut dies. Dem Virus ist das egal. Die Hauptsache ist: Wir alle müssen unsere Kontakte wieder reduzieren und auch das Risiko bei einem Kontakt.
Entweder die Leute passen ihr Verhalten an oder die Kantone treffen Massnahmen oder der Bundesrat tut dies.
Sie haben heute gesagt, man könne zwischen 20'000 und 40'000 Hospitalisierungen vermeiden, wenn man jetzt konsequent impfe; sowohl Erst- wie auch Drittimpfungen. Das ist doch aber sehr theoretisch – wir werden nicht plötzlich alle zur Impfung bewegen können.
Wenn jetzt niemand mehr die Erst- und Zweitimpfung in Anspruch nimmt, rechnen wir mit 10'000 bis 20'000 Hospitalisierungen von Ungeimpften. Die Drittimpfung ist ein anderes Thema. Die meisten von uns bekamen sie noch gar nicht angeboten oder die sechs Monate sind noch nicht abgelaufen. Bei 70-Jährigen steigt das Risiko für einen Spitalaufenthalt deutlich. Da kann man ebenfalls etwa 10'000 bis 20'000 Hospitalisierungen verhindern, wenn sich die Leute ein drittes Mal impfen lassen.
Im Moment sind immer noch weniger als 20 Prozent der Patientinnen und Patienten auf den Intensivstationen Covid-19-Patienten. Wo liegt das Problem?
Diese 20 Prozent sind auch schon eine zusätzliche Belastung, die aber noch handhabbar ist. Aber die Zahlen gehen auch auf den Intensivstationen nach oben, wöchentlich um etwa 20 Prozent. Dann müssen vermehrt Operationen verschoben werden. Und das spitzt sich immer mehr zu, je mehr sich die Intensivstationen füllen.
Wir haben bereits am 17. August ein Interview geführt. Sie haben damals auch gewarnt, weil die Zahlen sich alle zwei bis drei Wochen verdoppelt haben. Kurz darauf sind die Zahlen wieder gesunken. Waren Sie damals zu alarmistisch? Und sind Sie heute wieder zu alarmistisch?
Wir hatten in der Tat im August eine vierte Welle. Die Intensivstationen waren voll, die Spitäler haben vor einer Überlastung gewarnt. Im Herbst hat man die Situation glücklicherweise einigermassen in den Griff bekommen. Jetzt muss uns bewusst sein: Wenn wir nichts ändern, wird die Verdoppelung alle zwei Wochen weiter stattfinden – bis eine grosse Anzahl der Personen, die bisher nicht infiziert waren und nicht geimpft sind, mit dem Virus in Berührung gekommen ist.
Das Gespräch führte Urs Leuthard.