«Frieden zwischen Eritrea und Äthiopien ist gut, wir wollen aber auch Frieden in Eritrea selber!» Mit dieser Losung demonstrieren am morgigen Freitag Exil-Eritreerinnen und Eritreer aus ganz Europa in Genf.
In der Schweiz warten über 3500 Asylsuchende aus Eritrea auf ihren Entscheid. Fast 10'000 sind nur vorläufig aufgenommen. Wie beurteilen sie die politische Lage in der alten Heimat?
Grosse Skepsis trotz Friedensschluss
Johannes Measho ist sich vor allem schlechte Nachrichten aus Eritrea gewohnt. Umso erstaunter war der 40-jährige Elektroingenieur aus Aarau vor zwei Monaten über den Friedensschluss zwischen den lange verfeindeten Nachbarn Äthiopien und Eritrea. Erstaunt, erfreut, aber auch extrem skeptisch: «Das war auch meine Hoffnung. Ich glaube aber nicht, dass dies für die Menschen in Eritrea etwas ändert.»
«Das Regime muss weg»
Measho hat als Soldat im Krieg gegen Äthiopien gekämpft. Geflüchtet ist er nachher, wegen der Unterdrückung durch die eigene Regierung: «Solange dieses Regime an der Macht ist, wird sich in Eritrea nichts ändern.»
Das ist auch die Meinung von Kibrom Hagos. Der 36-Jährige ist wie Measho ein anerkannter Flüchtling in der Schweiz: «Das Regime muss weg, es braucht eine Verfassung und die Gefangenen müssen freigelassen werden», stellt Hagos fest.
Keine Verbesserung in Eritrea
Bis jetzt hätten nur die Menschen in Äthiopien vom Friedensabkommen profitiert. Dort habe Premierminister Abyi Ahmed Truppen demobilisiert, politische Gefangene freigelassen und die Pressefreiheit ausgeweitet. In Eritrea aber habe sich praktisch nichts verändert. Im Gegenteil. Der eritreische Diktator Isayas Afewerki habe in den letzten Monaten die innenpolitischen Schrauben eher noch stärker angezogen, finden sowohl Hagos wie Measho.
Fluchtgrund Nationaldienst
Zwar habe Afewerki unter anderem versprochen, den unbegrenzt langen, obligatorischen Nationaldienst wieder auf 18 Monate zu beschränken und damit eine der wichtigsten Fluchtursachen zu beseitigen. Aber versprochen habe der Präsident schon viel, gehalten sehr wenig.
Nicht dabei sein an der Demonstration in Genf wird Tewolde Gebrelassie, der eigentlich anders heisst, aber seinen richtigen Namen nicht nennen möchte. Der 34-jährige Lehrer lebt schon seit mehr als drei Jahren in der Schweiz, wartet aber immer noch auf seinen Asylentscheid. Auch eine Arbeitserlaubnis hat er nicht und muss deshalb mit 63 Franken Verpflegungsgeld in der Woche auskommen. Das liegt eine Zugfahrt nach Genf nicht drin.
«Noch viel zu früh» – trotz Lichtblicken
Gebrelassie beurteilt die Lage in Eritrea eine Spur positiver als seine beiden Landsleute. Seit dem Friedensvertrag gebe es doch einige Fortschritte zu verzeichnen: So gebe es wieder direkte Flüge zwischen den beiden Hauptstädten. Jahrzehntelang getrennte Familien könnten sich wieder treffen und die Hasspropaganda in den Massenmedien sei verstummt. Noch bleibe viel zu tun, noch sei es viel zu früh für ein definitives Urteil.
Sicher zu früh wäre es auch, die gut 10'000 in der Schweiz vorläufig aufgenommenen Eritreerinnen und Eritreer jetzt zurückschicken zu wollen. Wer das befürworte, habe von der Situation in Eritrea keine Ahnung: «Dies wäre eine Katastrophe für die betroffenen Eritreer und für das Image der Schweiz», sagt Gebrelassie.
Es wäre eine Katastrophe für die betroffenen Eritreer und für das Image der Schweiz.
SEM: Keine Anhaltspunkte für politische Veränderungen
Eritrea stellt seit Jahren die grösste Gruppe von Asylsuchenden in der Schweiz. Viele Flüchtlinge sind monate- oder gar jahrelang unterwegs. Falls der Friedensschluss zwischen Eritrea und Äthiopien Auswirkungen auf die Zahl der Asylgesuche habe, werde man das frühestens Ende Jahr spüren, schreibt das Staatssekretariat für Migration (SEM) auf Anfrage. Es dämpft gleichzeitig allzu grosse Erwartungen. Bis jetzt habe man keine Anhaltspunkte für politische Veränderungen innerhalb Eritrea.
Es dürften also weiterhin Menschen aus Eritrea flüchten, auch in die Schweiz. Und wer schon hier ist, wird in absehbarer Zukunft kaum freiwillig zurückkehren, auch wenn viele davon träumen. Die drei befragten Eritreer jedenfalls wollen in Eritrea leben, wenn sich etwas ändert, wenn das Regime weg ist und sich demokratische Verhältnisse einstellen. Je länger das Exil aber dauert, desto schwieriger wird die Heimkehr. Die Wurzeln in der neuen Heimat werden stärker, jene in der alten schwächer.