Seit einem halben Jahr ist die deutsche Wissenschaftlerin Maria Leptin die Chefin des Europäischen Wissenschaftsrates, des ERC; dass sich Schweizer Wissenschaftler nicht mehr um ERC-Stipendien bewerben können, sei auch für sie nicht bloss ein x-beliebiges Thema, sondern: «Es ist ein Riesenthema. Kooperation und Wissenschaft sind sowieso international. Und da fehlt ein grosser Brocken in der europäischen Forschungslandschaft, wenn die Schweizer Wissenschaftler nicht mehr durch den ERC gefördert werden.»
Deshalb sagt sie weiter: «Ich selbst möchte unbedingt, dass die Schweiz wieder assoziiert wird, aber ich kann auch die politische Position der Kommission verstehen. Es muss auch den politischen Willen geben, anzuerkennen, dass es Bedingungen für Kooperation gibt.»
«Alle haben Rechte und Pflichten»
In der Schweiz dominiert die Vorstellung, dass die europäische Wissenschaftsgemeinde die Schweizer voll unterstützt, wieder ganz beim EU-Wissenschaftsprojekt mitmachen zu können. Das stimmt zwar, ist aber gleichzeitig nur die eine Seite der Medaille. Sie sei eben Wissenschaftlerin und Bürgerin zugleich, sagt die Chefin des ERC: «Alle anderen Länder, die in der EU sind, haben Rechte und Pflichten. Und ich denke, da muss ein bisschen Verständnis da sein, dass man sich nicht die Rosinen aus dem Kuchen picken kann.»
Die Aufforderung an die Schweizer Politik, bei den Verhandlungen mit der EU vorwärtszumachen, ist unüberhörbar. Das wünscht sich auch Martin Vetterli. Die Schweizer Lösung für die wegfallenden EU-Stipendien sei zwar gut, sagt der Präsident der ETH-Lausanne, der EPFL, aber: «Das ist Nationalliga. Das ist nicht der internationale Wettbewerb. Das spüren die Leute, sie wissen, dass es anders evaluiert wird. Es hat mehr Politik darin. Je weiter weg die Entscheide getroffen werden, desto weniger Politik steckt in dem Entscheid.»
Die Erfolgsrate beim EPFL ist gut. Ob das noch der Fall sein wird, wenn wir in der Schweiz evaluieren, das werden wir sehen.
Je näher die Entscheide gefällt würden, desto stärker werde nicht nur auf wissenschaftliche Kriterien geachtet, sagt Martin Vetterli, darunter leide die Qualität: «Die Erfolgsrate bei der EPFL ist gut. Ob das noch der Fall sein wird, wenn wir in der Schweiz evaluieren, das werden wir sehen.»
«Was, wenn die Schweiz nicht mehr assoziiert wird?»
Auch Bundesrat Guy Parmelin hat am WEF Gespräche zu Horizon geführt, etwa mit dem deutschen Wirtschaftsminister Robert Habeck. Allerdings denkt Parmelin bereits daran, was ist, wenn die Schweiz beim aktuellen EU-Forschungsprogramm gar nicht mehr mitmachen kann: «Die Frage wird sehr politisch werden und wir haben sie bereits in der parlamentarischen Kommission diskutiert: Was machen wir, wenn die Schweiz nicht mehr assoziiert wird?»
Sehr wahrscheinlich wird sich die Frage in der zweiten Hälfte 2023 politisch stellen.
Parmelin wird sogar noch konkreter; die Frage werde man in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres beantworten müssen: «Sehr wahrscheinlich wird sich die Frage in der zweiten Hälfte 2023 politisch stellen.» Das kann man als vorausschauendes Handeln betrachten. Allerdings ist eine Teilnahme an Horizon bis dann wenig wahrscheinlich. So bleibt die Frage, wie gross der politische Wille bei den Schweizer Entscheidungsträgern eigentlich noch ist, die Teilnahme an Horizon sicherzustellen.