Im 90-köpfigen Tessiner Kantonsparlament sind 12 Parteien vertreten, darunter 6 Miniparteien, welche je zwischen 2 und 3 Sitze halten. Diese Zersplitterung ist der grössten Partei im Tessin – der FDP – ein Dorn im Auge. Deshalb soll mit einer 4-Prozent-Hürde der Einzug ins Kantonsparlament erschwert werden. Damit würde sich wohl die Anzahl der Parteien im Parlament halbieren. Das sei ein harter Angriff auf die Demokratie, kritisieren die kleinen Parteien.
Sind Prozenthürden undemokratisch?
Prozenthürden oder Sperrklauseln sind nichts Neues. Deutschland kennt eine 5-Prozent-Hürde seit den 1950-er Jahren und in Liechtenstein galt bis in die 1960er Jahre eine 18-Prozent-Hürde, heute liegt sie im Ländle bei 8 Prozent. Auch sieben Kantone – darunter Zürich und Genf – kennen eine Mindestprozenthürde für den Einzug ins Kantonsparlament.
So eine Hürde brauche es auch im Tessin, sagt FDP Grossrat Paolo Ortelli, welcher den entsprechenden Vorstoss eingereicht hat: «In den letzten drei Legislaturen ist die Zahl der kleinen Parteien von vier auf sieben angestiegen. Viele dieser Parteivertreter repräsentieren einfach sich selbst.»
Dass wegen der vielen Parteien das Tessiner Parlament ineffizient sei, weist Amalia Mirante zurück. Die Gründerin der linken Kleinstpartei Partei Avanti con Ticino & Lavoro spielt den Ball zurück: «Die grossen Parteien sind schuld an der Ineffizienz. Sie sind nicht in der Lage, gemeinsame Lösungen für den Kanton zu finden.» Sie würden mit ihrem Hickhack die Ratsdebatte dominieren und den Grossteil der Redezeit beanspruchen.
Der wirkliche Grund für diesen Vorstoss sei doch, dass die traditionellen Parteien Stimmen verlören und kleine Parteien deshalb mit einer Sperrklausel bestrafen wollten. Das sei zutiefst undemokratisch, so Mirante.
Viele Demokratien kennen Sperrklauseln
«Nein», sagt der Tessiner Politologe Nenad Stojanovic. Viele Demokratien würden solche Sperrklauseln kennen und bei jeder Politikerwahl gebe es eine Hürde. Sperrklausen hätten Vor- und Nachteile, so Stojanovic: «Man hätte weniger Parteien im Parlament und das könnte während der Debatten zu einer gewissen Effizienz führen.»
Mehr Effizienz wäre ein klarer Vorteil. Stojanovic findet aber, der Vorstoss mit der Sperrklausel fürs Tessiner Parlament komme zu früh. Viele dieser Kleinparteien sind erst in den letzten Jahren entstanden. «Generell sollte man nicht zu schnell Reformen anstossen, nur weil einem das Ergebnis nicht gefällt.»
Denn ständig eine Vertretung im Parlament zu haben, sei gerade für eine Kleinpartei aufwändig, meint Politologe Stojanovic. Anders gesagt: Die eine oder andere Minipartei dürfte so schnell wieder verschwinden, wie sie gekommen ist.
Verfassungsänderung vors Volk?
Klar ist, eine Prozenthürde stärkt die grossen Parteien. Dennoch sind nicht alle Tessiner Traditionsparteien begeistert. Die SP lehnt eine Hürde aus demokratiepolitischen Überlegungen ab. Amalia Mirante hofft, dass die Idee schon im Parlament versenkt wird.
Genau das aber möchte Initiant Paolo Ortelli nicht: «Ich würde es schade finden, wenn bei einer Verfassungsänderung das Parlament nicht das Volk darüber entscheiden lassen würde, sondern eine solch wichtige politische Frage selbst entscheiden würde.»
Mitte und Lega haben sich noch nicht festgelegt, ob sie für oder gegen die Hürde sind. Sollte sich eine Partei dagegen entscheiden, wäre die Prozenthürde wohl gestorben.