Zum Inhalt springen

Umfrage von Schweiz Tourismus Unterschätzt der Schweizer Verband das «Overtourism»-Problem?

Overtourismus ist in der Schweiz kein Problem. Zu diesem Fazit kommt eine neue Studie. Experte Jürg Stettler ordnet ein.

Nur fünf Prozent der Bevölkerung sehen im Tourismus in der Schweiz Probleme. Zu diesem Resultat kommt eine repräsentative nationale Umfrage bei über 2000 Personen im Auftrag von Schweiz Tourismus. Von «Overtourism» spricht Schweiz Tourismus nicht, sondern nur von «punktuellen örtlichen und zeitlichen Engpässen». Jürg Stettler, Leiter des Instituts für Tourismus und Mobilität der Hochschule Luzern, ordnet die Umfrageergebnisse und die vorgeschlagenen Massnahmen ein.

Jürg Stettler

Tourismusexperte

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Er leitet das Institut für Tourismus und Mobilität der Hochschule Luzern und setzt sich mit Destinationsmanagement und der nachhaltigen Entwicklung im Tourismus auseinander.

SRF: Überrascht Sie das Ergebnis, wonach nur fünf von 100 Personen auch Sorgen zum Tourismus äussern?

Jürg Stettler: Nein. Überraschend ist für mich allenfalls, dass es nur fünf und nicht zehn Prozent sind. Das wiederum hängt allerdings mit der Befragungsmethode zusammen. Da Tourismusprobleme lokale Probleme sind, waren auf nationaler Ebene in etwa solche Resultate zu erwarten.

Die Aussage der Studie bezieht sich auf die gesamte Schweiz.

Sind die betroffenen Gebiete in der Umfrage unterrepräsentiert?

Nein, das kann man nicht so sagen. Aber es ist klar: Wenn ein Problem in Iseltwald besteht, ist es gar nicht möglich, genügend Iseltwalder in der Stichprobe zu haben. Die Aussage der Studie bezieht sich somit auf die gesamte Schweiz. Diese besagt, dass die Befindlichkeit der Bevölkerung in Bezug auf den Tourismus in der Schweiz sehr gut ist.

Steg in Iseltwald.
Legende: Der Steg in Iseltwald am Brienzersee wurde durch eine Netflix-Serie weltbekannt. Die Bevölkerung der Berner Oberländer Gemeinde wird von Selfie-Touristinnen überrollt. Keystone/Peter Klaunzer

Von den über 2000 Befragten kommen nur elf Prozent aus Tourismuszentren. Was sagen sie zur Methodik?

Das ist wenig, wenn man den Anspruch hat, genauere Informationen zur Befindlichkeit der Bevölkerung in Tourismuszentren zu erhalten. Das war aber im Rahmen dieser Studie gar nicht möglich. Um differenzierte Erkenntnisse zu gewinnen, bräuchte es spezifische Befragungen wie jene Anfang Jahr in Luzern.

Aufgrund des globalen Tourismuswachstums ist anzunehmen, dass diese Phänomene eher zunehmen werden.

Die aktuelle Umfrage räumt gesellschaftliche Herausforderungen ein und spricht von lokalen, zeitlichen Engpässen. Was sagen Sie dazu?

Dass es an den bekannten Hotspots und den Top-Sehenswürdigkeiten sehr viele Touristinnen und Touristen gibt. Und zwar so viele, dass es den akzeptablen Rahmen sprengt. Momentan sind das noch lokale und vielfach auch zeitlich begrenzte Phänomene. Aber sie sind eine Tatsache. Zugenommen hat das bereits vor Corona, verschwand während der Pandemie und ist nun an den neuralgischen Punkten wieder zurück. Aufgrund des globalen Tourismuswachstums ist anzunehmen, dass diese Phänomene eher zunehmen werden.

Alles hängt aber davon ab, wie viel Marketingmittel weiterhin in die klassische Tourismusförderung fliessen werden.

Schweiz Tourismus will den Tourismus «verträglicher» machen: etwa mit Nischenwerbung in China, Herbstcamps für US-Touristen in Saas-Fee, Zugreisen aus den Benelux-Staaten im Winter oder für mehr Gäste mit hoher Wertschöpfung. Kann das klappen?

Solche Massnahmen könnten bei allfälligen Overtourism-Problemen sicher entlastend oder zumindest nicht zusätzlich belastend wirken. Sie beeinflussen das Reiseverhalten und zeigen die Bestrebungen weg von der Förderung in Richtung Lenkung. Alles hängt aber davon ab, wie viel Marketingmittel dafür aufgewendet werden und was weiterhin in die klassische Tourismusförderung fliessen wird. Klar ist auch: Solange ein grosser Teil der Reisenden zum ersten Mal in die Schweiz kommt, werden diese die Top-Sehenswürdigkeiten sehen wollen. Die genannten Massnahmen dürften damit eher für jene sinnvoll sein, welche die Schweiz schon ein wenig kennen und viel Zeit haben, neben den Highlights auch andere Orte zu besuchen.

Das Gespräch führte Pascal Lago.

SRF 4 News, 05.07.2024, 06:20 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel