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Zeugen Jehovas im Zürcher Letzigrund
Aus Tagesschau vom 20.07.2024.
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Umstrittene Gemeinschaft Zeugen-Jehovas-Kongress: Was passiert da und sind sie gefährlich?

Die Religionsgemeinschaft trifft sich zum Grossevent. Woran glauben sie und für wen können sie gefährlich werden?

Der Grossevent der Zeugen Jehovas: Der Sonderkongress der Zeugen Jehovas findet dieses Wochenende in Zürich statt. Eingeladen sind Anhängerinnen und Anhänger aus verschiedenen Ecken der Welt. Es werden jeden Tag 20'000 Personen erwartet.

Wie verbreitet sind die Zeugen Jehovas in der Schweiz?

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«Die Zeugen Jehovas haben in den vergangenen 30 Jahren langsam, aber kontinuierlich zugenommen», sagt der Religionsexperten Georg Schmid von der kirchlichen Fachstelle Relinfo. Damals gab es 17'000 Gläubige, 2023 waren es 20'000 Gläubige.

Sonderkongress im Letzigrund sorgt für Kritik: Seit 40 Jahren findet zum ersten Mal wieder ein Sonderkongress in Zürich statt. Warum hierzulande? Am wichtigsten sei «eine geeignete Location und die Infrastruktur», sagt Dominic von Niederhäusern, Sprecher der Zeugen Jehovas Schweiz. Aber auch in Bezug auf Hotels, Flughafen und politische Sicherheit habe Zürich offenbar punkten können. Dass der Sonderkongress im Letzigrund stattfindet, gefällt nicht allen: Das Stadion gehört der Stadt Zürich. Sie hat es vermietet und ist dafür kritisiert worden – weil die Zeugen Jehovas umstritten sind.

Grosse Menschenmenge bei einer Veranstaltung in einer Arena.
Legende: Auch der «Sommerkongress» im Jahr 2010 hatte nicht wenige Besucherinnen und Besucher. Damals fand er im Hallenstadion statt, mit gegen 8000 Gläubigen. Steffen Schmidt / Keystone

Gegenüber dem «Blick» hat die Stadt erklärt, dass man alle gleichbehandle. Solange es keine Sicherheitsbedenken oder strafrechtliche Tatbestände gebe, würden Anfragen bewilligt.

Was passiert am Sonderkongress? «Es ist ein Feiertag, den wir geniessen», sagt von Niederhäusern. «Es ist da, wo wir zusammenkommen, mit unseren Freunden aus der Bibel lehren. Es gibt Lieder und Gebete.»

Menschen werden in einem Wasserbecken getauft, umgeben von Zuschauern.
Legende: Massentaufe der Zeugen Jehovas im Mainzer Bruchwegstadion bei ihrem Bezirkskongress. (Foto vom Juli 2004) imago images / Melanie Bauer

Am Samstagmorgen wird zudem getauft. Im Programm steht, dass jeder Täufling angemessene Badebekleidung und ein Handtuch mitbringen soll.

Überall auf der Welt identisch: «Sie üben das Programm ein»

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Warum sind die Sonderkongresse alle so ähnlich? «Das ist den Zeugen Jehovas besonders wichtig. Überall auf der Welt, wo eine Zeugin oder ein Zeuge eine Versammlung besucht, geht es genau gleich zu und her wie im Heimatland», sagt der Religionsexperte Georg Schmid. Das sei bei anderen Religionen total anders. «Wenn sie in Westafrika in einen reformierten Gottesdienst gehen, dann fühlt sich das komplett anders an als in der Schweiz.»

Das Programm der Kongresse werde von der Zentrale produziert und in allen Sprachen bereitgestellt. «Das Programm wird den lokalen Zweigstellen zugeteilt. Sie üben es ein und führen das 1:1 so durch wie von der Zentrale bereitgestellt», so Schmid.

Woran glauben die Zeugen Jehovas? Bekannt sind die Zeugen Jehovas dafür, schon mehrmals den Weltuntergang prophezeit zu haben. «Das ist ein zentrales Thema», sagt Religionsexperte Georg Schmid. «Sie sind der Überzeugung, dass das System auf der Erde zu Ende gehen wird – bald.» Der Planet werde zwar weiterbestehen, aber von Gott gereinigt. Eine paradiesische Welt ohne Krankheiten und Leid entstehe. «Wer aber eine unvergebbare Sünde begehe – beispielsweise falsch glaubt – wird vernichtet.» Die Strafe der anderen sei der Tod. Die Zeuginnen und Zeugen würden hingegen auferweckt und seien mit dabei.

Was sagen Aussteigende? «Ich kämpfte mit Selbstmordgedanken»

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Ein ehemaliger Zeuge Jehovas erzählt gegenüber SRF: «Die Reaktion der Eltern war sehr heftig. Die Mutter hat geweint. Ich fragte, ob ich noch ab und zu ein Whatsapp schreiben könne und fragen, wie es ihnen gehe. Der Vater hat mich mit Tränen in den Augen angeschaut und gesagt: Wir wollen mit dir keinen Kontakt mehr haben.» Die erste Zeit sei sehr hart gewesen, er sei ausgesprochen einsam gewesen. «Ich hatte mit Selbstmordgedanken zu kämpfen.» Er habe einfach nicht gewusst, wie er damit umgehen könne.

Werden Leute, die bei den Zeugen Jehovas aussteigen wollen, geächtet?

Ihr Sprecher, Dominic von Niederhäusern, gibt keine klare Antwort: «Das ist schwierig, so eine pauschale Aussage zu tätigen.» Ein Ausstieg aus einem sozialen System, einer Organisation oder aus einer familiären Beziehung habe immer gewisse Kosten. «Der Ausstieg aus einer Religionsgemeinschaft ist da kein Unterschied.» Sie würden aber alles daran setzen, jeden mit Nächstenliebe und Respekt zu behandeln.

Wer gehen will, wird nicht daran gehindert – wer gehen will, den hindert aber offenbar oftmals die Angst vor dem Gemeinschaftsausschluss. «Wer sich nicht an die Regeln hält, wird ausgeschlossen. Die Zeugen Jehovas halten niemanden fest», sagt Religionsexperte Schmid.

Eine sehr kontroverse «Sünde» sei beispielsweise, wenn man Homosexualität auslebe. «Sexualität ist aus Sicht der Zeugen Jehovas nur in der heterosexuellen Ehe okay», sagt Schmid. Somit vertreten die Zeugen Jehovas eine homophobe Haltung. In der Schweiz gelten aber ein Diskriminierungsverbot sowie das Gleichstellungsgesetz.

Sind die Zeugen Jehovas gefährlich? Kürzlich hat die Universität Zürich eine Studie veröffentlicht zu Menschen, die ausgestiegen sind. Ein Drittel hat von Suizidgedanken erzählt, einige haben versucht, sich das Leben zu nehmen. Vor allem Frauen haben über ein relativ hohes Mass an Kindesmisshandlung erzählt. Befragt worden sind 424 Aussteigerinnen und Aussteiger. Die Studie ist nicht repräsentativ – was von den Zeugen Jehovas kritisiert wird. «Wir schauen sie einerseits als einseitig an», sagt der Jehovas-Sprecher. Andererseits sei sie aufgrund der Methodik und wegen des Aufbaus nicht so aussagekräftig. Zu den problematischen Punkten, wie den Suizidgedanken und -versuchen, hat sich der Sprecher gegenüber SRF nicht geäussert.

Zwei Frauen stehen neben einem Bücherstand in einer Einkaufspassage.
Legende: So fallen die Zeugen Jehovas auf: missionierend in der Fussgängerzone. Imago Images

«An den Zeugen Jehovas können wir gut zeigen, dass die Gefährlichkeit für einzelne Menschen einer Gemeinschaft extrem von der Situation abhängt.» Hochproblematisch werde es dann, so Religionsexperte Schmid, wenn jemand eine Bluttransfusion brauche – weil Bluttransfusionen verboten sind. Unter Umständen würden die Leute lieber sterben, als Blut anzunehmen.

Wie sollen wir als Gesellschaft mit den Zeugen Jehovas umgehen?

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Wenn man von ausserhalb in die Gemeinschaft gehe und sich nach strikten Regeln sehne, dann könne man dort allenfalls finden, was man suche und glücklich werden. «Wenn man aber in einer solchen Gemeinschaft aufwächst, aber nicht der Typ ist, der sich alles vorschreiben lässt und lieber autonom sein will, dann bekomme ich dort schnell Probleme», sagt Schmid.

«Eine liberale Gesellschaft, der Religionsfreiheit wichtig ist, muss mit solchen Gemeinschaften umgehen können.» Es gebe Menschen, die bei den Zeugen Jehovas glücklich seien. «Wichtig ist, dass wir für diejenigen Menschen da sind, die so eine Gemeinschaft verlassen möchten und auch Hilfe anbieten», sagt der Religionsexperte. «Wichtig ist, dass die Personen, die von solchen umstrittenen Gemeinschaften angesprochen werden, Informationen beziehen können. Sich also erst informieren können und dann entscheiden, ob man dieser Gemeinschaft beitreten möchte – oder eben nicht», sagt Georg Schmid.

Newsplus, 18.07.2024, 16:00 Uhr ; 

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