Der Schweizer Frauenfussball boomt wie noch nie. Die Zahl der lizenzierten Mädchen und Frauen in der Schweiz ist innerhalb von zwei Jahren um 30 Prozent auf über 41‘100 Spielerinnen angestiegen.
Doch der Sport hat auch seine Schattenseiten. Viele Fussballerinnen erleben noch heute auf und neben dem Spielfeld Sexismus in unterschiedlichsten Formen. Von sexistischen Sprüchen, Beleidigungen und Belästigungen bis zum strukturellen Sexismus, in dem sie in den Gesamtstrukturen von Vereinen und Verbänden gegenüber den Männern benachteiligt werden.
Drei Fussballerinnen in unterschiedlichen Spielklassen erzählen, wie sie den Alltag im Schweizer Fussball erleben. Der Schweizerische Fussballverband äussert sich zur Kritik.
Leandra Flury: «Ich habe mich in dem Moment nicht wehren können»
Leandra Flury spielt in der obersten Frauen-Liga der Schweiz, in der «Women's Super League» beim Grasshopper Club Zürich in der Abwehr. Vor wenigen Wochen wird sie während des Cup-Viertelfinal-Spiels gegen Basel von Zuschauern verbal sexuell belästigt und gedemütigt.
Während sich Flury an der Seitenlinie aufwärmt, um eingewechselt zu werden, beginnen zwei jüngere Männer in den Zuschauerrängen hinter ihr laut zu rufen: «Geiler Arsch». Dazu machen die beiden Zuschauer Stöhngeräusche im Takt zu den Aufwärmübungen der Spielerin. Als sie in einen Power-Riegel beisst, rufen die Männer: «Ah geil, gib's dem Riegel. Dann wirst du noch etwas fetter.»
Die 25-Jährige hätte sich gewünscht, dass jemand die Männer gestoppt hätte. «Ich habe mich in dem Moment gar nicht wehren können. Ich habe es einfach nicht geschafft. Ich habe mich ausgestellt und ein Stück weit auch ausgeliefert gefühlt.»
Sexistische Sprüche und Belästigungen erleben Spielerinnen immer wieder. Von den untersten bis in die obersten Ligen – auch im Nationalteam.
Meriame Terchoun: «Mich enttäuscht es, wenn ich nicht anhand meiner Spielqualitäten beurteilt werde»
Meriame Terchoun spielt als Stürmerin im Schweizer Nationalteam. Sowohl auf dem Platz wie auch in den Sozialen Medien sind die Nati-Spielerinnen immer wieder mit Sexismus konfrontiert. «Es wird recht oft über den Körper einer Spielerin gesprochen. Völlig unangebracht. Völlig unpassend.»
Die Reduktion auf ihren Körper würden Frauen sicherlich mehr erleben als ihre männlichen Kollegen, sagt die 28-Jährige. Die Kommentare hätten oft gar nichts mit dem Fussballspiel zu tun. «Mich enttäuscht es, wenn ich nicht anhand meiner Spielqualitäten, sondern meines Aussehens beurteilt werde. Das lässt einen auch ein bisschen wertlos fühlen. Es fühlt sich diskriminierend an und ist überhaupt nicht in Ordnung.»
Sexistische Sprüche und Beleidigungen sind eine Art von Sexismus. Es gibt aber auch noch den strukturellen Sexismus, in dem Mädchen und Frauen in den Gesamtstrukturen von Vereinen und Verbänden gegenüber den Buben und Männern benachteiligt werden.
Noemi Torrado: «Wir Frauen mussten immer spät abends zu den Randzeiten trainieren»
Noemi Torrado spielt seit 15 Jahren bei den Frauen. Strukturelle Ungleichheiten hat sie in all den Jahren in verschiedenen, früheren Vereinen erlebt, sei es bei den Spiel- und Trainingszeiten, aber auch bei der Nutzung der Infrastruktur. «In den letzten Jahren habe ich erlebt, dass wir Frauen oft an einem Freitagabend zu späten Trainingszeiten auf den Platz mussten, während die Herren zu attraktiveren Zeiten trainieren durften.»
Auch die Spielzeiten der Matches seien oft zu Randzeiten angesetzt gewesen, etwa regelmässig am Sonntagmittag, während die Männer zu attraktiveren Zeiten, wie am Samstagabend, spielen durften.
Das Clubhaus sei während der Frauenspiele geschlossen gewesen, sodass die Zuschauer während ihrer Spiele nichts konsumieren konnten, bei den Spielen der Männer war das Gastroangebot immer geöffnet.
«Eine weitere Schwierigkeit war auch, dass wir Frauen keine eigenen Frauen-Garderoben hatten, um uns umziehen zu können», so Torrado. Diese Ungleichbehandlung von Männer- und Frauenteams hat hierzulande System.
Fussballverband gibt Priorisierung von Männerteams vor
Männerteams haben bei der Spielfeldnutzung Vorrang, selbst wenn sie in einer tieferen Liga spielen als die Frauen. Diese Ungleichbehandlung gibt der Schweizerische Fussballverband (SFV) selbst vor. Im offiziellen Wettspielreglement des SFV wird die Benutzung der Spielfelder durch Prioritätenordnung schwarz auf weiss vorgeschrieben:
Vorrang hat die höchste Männer-Liga, die «Super League», gefolgt von der «Challenge League» der Männer. Erst dann werden die Frauen der obersten Liga, der «Women’s Super League» berücksichtigt. Ebenso haben die Männer der «Promotion League» und der «1. Liga classic» Priorität gegenüber den Frauen in der eigentlich höher klassierten «Nationalliga B».
So geht es bei den unteren Ligen weiter. Einen frappanten Unterschied gibt es etwa bei den U-15/U-16 Frauen, also bei den Nationalteams der Nachwuchsabteilung. Die Männer der U-16 und U-15 geniessen auf Rang 7 deutlich mehr Platzrechte als die U-15/U-16 Frauen auf Rang 13.
Wie rechtfertigt der Fussballverband diese Ungleichbehandlung? SFV-Präsident Dominique Blanc erklärt gegenüber SRF: «Bereits vor einigen Jahren haben wir auf Anregung von Tatjana Haenni die Position der Frauen angehoben. Vor einigen Jahren waren die Frauen noch auf dem letzten Rang», betont Blanc.
Zudem denke er, dass das noch von der Geschichte des Fussballs herkomme. «Ich glaube nicht, dass es eine Absicht gab, Frauen zu benachteiligen. Aber am Anfang spielten in den Vereinen nur sehr wenige Frauen. Ich denke, dass sich mit der Entwicklung des Frauenfussballs auch die Positionen noch weiter verändern werden.»
Frauen auch in obersten Verbandsstrukturen kaum vertreten
Frauen sind in den Vorständen der regionalen Fussballvereine und Regionalverbände nach wie vor in der Minderheit. Nicht anders sieht es beim Schweizerischen Fussballverband selbst aus. In der Geschäftsleitung sind nur zwei der acht Sitze von Frauen besetzt.
Im Zentralvorstand fehlen sie bis heute sogar ganz. Im siebenköpfigen obersten Gremium sitzen zusammen mit dem Präsidenten Dominique Blanc ausschliesslich Männer. In der fast 130-jährigen Verbandsgeschichte gab es bis heute keine einzige Frau im Zentralvorstand. Doch im kommenden Mai bei der nächsten Delegiertenversammlung will der Verband den Vorstand nun von 7 auf 9 Personen erweitern. Die beiden neuen Sitzen sollen erstmals explizit von zwei Frauen besetzt werden.
Keine direkten Vertreterinnen des Frauenfussballs gefragt
Nur: Gemäss neu angepassten Statuten müssen die zwei neuen Mitglieder «unabhängig» sein und «dürfen in keiner Verbindung zu einer Abteilung oder einem Klub des SFV stehen». Sprich: Gefragt sind nicht etwa direkte Vertreterinnen des Frauenfussballs mit sportlicher Fachexpertise, sondern gemäss Dominique Blanc suche man vielmehr nach politischen und wirtschaftlichen Repräsentantinnen, um den Verband besser zu vernetzen.
Wenn sich die Mädchen oder Frauen diskriminiert fühlen, laden wir sie oder die Vereine ein, diese Vorfälle zu melden.
Dass man die zwei neuen Sitze nicht mit Vertreterinnen des Frauenfussballs besetzen will, sorgt in Kreisen des Frauenfussballs für Unverständnis. Auf die Frage, ob denn ein bestehendes Vorstandsmitglied, also ein Mann, seinen Platz für eine Frau aus dem Fussballbereich räumen würde, antwortet Blanc: «Nein, Personen, die bereits in den Zentralvorstand gewählt wurden, kann man nicht auffordern, zurückzutreten, um Platz für Frauen zu machen, erst recht nicht, wenn man den Vorstand ja nun erweitern will.»
In Zukunft würden sicherlich mehr Frauen aus den Regionalverbänden nachrücken. In die Zukunft blickend meint Blanc: «Ich kann mir gut vorstellen, dass es eines Tages sieben Frauen im Zentralvorstand geben wird. Warum nicht?»
Betroffene können sich bei «Swiss Sport Integrity» melden
Der Fussballverband wolle den Frauenfussball weiter stärken und toleriere keine Art von Sexismus oder Diskriminierung, beteuert der Präsident des SFV. «Aber natürlich, wenn sich die Mädchen oder Frauen diskriminiert fühlen, laden wir sie oder die Vereine ein, diese Vorfälle zu melden», erklärt Dominique Blanc gegenüber SRF. Melden könne man solche Fälle – auch strukturelle Diskriminierung – bei der externen Meldestelle von «Swiss Sport Integrity».
«Swiss Sport Integrity» ist eine unabhängige, nationale Beratungs- und Meldestelle im Schweizer Sport. Hier können sich Betroffene melden, wenn sie zum Beispiel im Verein oder auf dem Platz sexuelle Belästigung oder Diskriminierung erleben.
Auch können sich Mädchen und Frauen melden, wenn sie beispielsweise strukturell bei Trainings- und Spielzeiten benachteiligt werden, erklärt Markus Pfisterer, Leiter des Bereichs Ethikverstösse bei «Swiss Sport Integrity», auf Anfrage von SRF. Diskriminierung und sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung aufgrund beispielsweise des Geschlechts, stellen klar Verstösse gegen das geltende Ethik-Statut dar.
Kommunikation und Sensibilisierung muss noch besser werden
Eine externe, unabhängige Meldestelle ist gut und recht. Nur, das Problem ist: Viele Spielerinnen und Spieler wissen noch gar nicht, dass es diese Meldestelle gibt, geschweige denn, dass man dort auch Fälle von struktureller Diskriminierung und Ungleichbehandlung melden kann.
Auf der Website des Schweizerischen Fussballverbands findet man nichts dazu. «Swiss Sport Integrity» wird auf der Website des Fussballverbands einzig als Meldestelle für Dopingfälle aufgeführt – ein anderer Bereich, für den ebenfalls «Swiss Sport Integrity» die Anlaufstelle ist.
Präsident Dominique Blanc gibt zu: «Vielleicht ist die Sichtbarkeit des Themas noch nicht ganz ausreichend, aber ich kann Ihnen versichern, dass dies ein ständiges Thema ist in den Schulungen des Verbands. Aber ja, vielleicht müssen wir uns in Sachen Kommunikation gegen aussen noch einmal verbessern.»
Und was wünschen sich die Frauen selbst? GC-Spielerin Leandra Flury sagt: «Ich glaube nicht, dass ich direkt verlangen kann, dass Sexismus ausgelöscht wird. Schön wäre es, aber es ist eine Utopie.» Sie wünsche sich aber, dass man mehr darüber spricht, wenn sexistische Vorfälle, Diskriminierungen oder Ungleichbehandlungen passieren: «Nur so wird das Bewusstsein geschaffen: ‹Hey, das ist nicht okay›.»