Es ist gerade Prüfungszeit und deshalb verhältnismässig ruhig an der Universität Genf. Die anwesenden Studierenden haben anderes im Kopf als die Frage, wer diese Institution wohl bald führen wird. Nicht so die Westschweizer Medien. «Die Uni Genf stürzt in die Krise», titelte «Le Temps», nachdem der Genfer Regierungsrat den 62-jährigen Eric Bauce aus Kanada als nächsten Uni-Direktor abgelehnt hatte.
Die Begründung: Der Mann sei zu alt, habe kein Netzwerk hier und spreche kein Deutsch. Nachvollziehbare Argumente, findet der amtierende Direktor Yves Flückiger. Dazu komme, dass die hiesige Hochschullandschaft besonders sei und grosse Herausforderungen zu meistern habe, weil die Schweiz keinen Zugang mehr zum EU-Forschungsprogramm Horizon habe.
Versuchter Tortenwurf auf SVP-Nationalrätin
Die Suche nach einer Nachfolge ist also zurück auf Feld eins. Es gibt aber noch ein zweites Thema, das der Universität Negativschlagzeilen gebracht hat: Kurz vor Weihnachten haben Vermummte eine Veranstaltung an der Universität Genf gestürmt. Ihre Absicht: Der Genfer SVP-Nationalrätin Céline Amaudruz eine Torte ins Gesicht werfen.
Eine Attacke, die bei den meisten der angesprochenen Studierenden für Unverständnis sorgt. «Wie sind wir nur hier angelangt?», fragt eine junge Frau. Aber es gibt auch Sympathisantinnen. Amaudruz sei ja auch nicht gerade zimperlich beim Vermitteln ihrer Positionen, meint eine Studentin.
Kann man an der Uni Genf seine Meinung sagen?
Die Genfer SVP-Nationalrätin hat Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Ein junger Jus-Student hat die Veranstaltung im Livestream verfolgt und zeigt Verständnis: Man habe Amaudruz den Schock angesehen, als die Vermummten in den Saal stürmten.
Als liberaler Denker traue er sich längst nicht mehr immer, seine Meinung frei zu äussern, so der junge Mann. Er wäge genau ab, mit wem er offen spreche. Für ihn ist das eine direkte Folge der Woke-Bewegung, die gegen Rassismus, Sexismus und soziale Ungleichheit kämpft.
Rote Linien überschritten: Uni erstattet Anzeige
Die Universität Genf muss einen Umgang mit dieser Zeiterscheinung finden. Denn bereits im letzten Frühling wurden kurz aufeinander zwei Veranstaltungen so massiv gestört, dass sie abgebrochen werden mussten.
Direktor Flückiger und sein Team haben deshalb rote Linien erarbeitet: Die Universität akzeptiere keine Gewalt, fordere Respekt vor anderen und Respekt vor der Meinungsäusserungsfreiheit. Diese Linien sieht die Universität überschritten und hat ebenfalls Anzeige gegen Unbekannt erstattet.
Negativschlagzeilen mit positivem Effekt?
Das beste Mittel gegen solche Vorfälle sei Bildung, ist Yves Flückiger überzeugt. Seinem – noch zu bestimmenden – Nachfolger rät er, dafür einzustehen, dass alles zivilisiert besprochen werden könne.
Nach der grossen medialen Aufmerksamkeit, die die Universität Genf in den letzten Wochen unfreiwillig genossen hat, ist Yves Flückiger zuversichtlich, dass sich eine passende Nachfolge findet. Die Genfer Bildungsministerin hat explizit auch an Frauen appelliert, sich zu bewerben. Es wäre die erste Direktorin in der über 400-jährigen Geschichte der Universität Genf.