Beim geplanten Kraftwerk «Gornerli» oberhalb von Zermatt am Fuss des Gornergletschers ist der Hochwasserschutz schon mitgedacht. Der Stausee soll einst mehr liefern als Energie – bei Unwettern soll er auch als Rückhaltebecken dienen. Das «Gornerli» ist ein Beispiel dafür, dass die Idee inzwischen in der Praxis angekommen ist. Robert Boes, Professor für Hydrologie an der ETH Zürich, sagt, bei neuen Anlagen werde der Hochwasserschutz inzwischen mitgedacht. Das heisst, der Stausee wird nie ganz gefüllt, damit er im Fall von Unwettern noch Wasser auffangen kann. Es ist ein Kompromiss: Ein Teil des Potenzials für die Stromproduktion geht zwar verloren, aber zu Gunsten des Hochwasserschutzes.
Die bestehenden Wasserkraftwerke in den Alpen haben heute schon eine dämpfende Wirkung bei Hochwasser. Sie sind jedoch grundsätzlich für die Stromproduktion konzipiert und je nach Jahreszeit ziemlich voll. «Man könnte sich überlegen, bei bestehenden Anlagen einen bestimmten Wasserstand nicht zu überschreiten und so auch dort eine höhere Schutzfunktion einzufügen», sagt Robert Boes von der ETH Zürich.
Gefährliche Gletscherseen
Die Kombination von Stromproduktion und Hochwasserschutz dürfte vor allem auch in Zukunft an Bedeutung gewinnen, mit dem Klimawandel. Wilfried Häberli, emeritierter Professor für Glaziologie, warnt: «Wir haben heute einen Zustand, den es in der Geschichte der Menschen im Alpenraum so noch nie gegeben hat, und die Entwicklung wird mit grosser Wahrscheinlichkeit weitergehen.» Also müsse man sich auf neue Risiken einstellen.
Die Planung muss unbedingt sofort beginnen.
Mit den schmelzenden Gletschern entstehen Gletscherseen. Diese können zur Gefahr werden, wenn Bergstürze in den See Flutwellen auslösen. Um die Gefahr abzuwenden, könnte man weiter unten im Tal einen Rückhalt bauen. Wilfried Häberli sagt jedoch: «Einen solchen Rückhalt zu bauen, für ein Ereignis, das vielleicht gar nie eintritt, das finanziert niemand.» Deswegen habe man in den letzten Jahren das Konzept von Mehrzweckanlagen entwickelt. Also Stauseen, die sowohl der Stromproduktion, als auch dem Hochwasserschutz dienen.
Politik muss aktiv werden
Die Schweiz sei wissenschaftlich in diesem Bereich führend. Nun sei es wichtig, dass die Politik die Rahmenbedingungen schafft, ermahnt Häberli: «Das Grundlagenwissen ist vorhanden: Wir wissen, wo diese Seen entstehen. Die Planung muss unbedingt sofort beginnen.»
Die jüngsten Unwetter sind als Vorboten zu sehen von grösseren Gefahren. Jetzt sind innovative Lösungen gefragt und Kompromissfähigkeit bei der Interessenabwägung von Naturschutz, Stromproduktion und Hochwasserschutz. Damit im Wasserschloss Schweiz sich die wertvolle Ressource nicht zunehmend gegen uns richtet.