Die Westschweizer Kantone stehen wegen Unterschriftenbetrugs in der Kritik. In Neuenburg, Genf und der Waadt haben bezahlte Unterschriftensammler besonders viele falsche Unterschriften für nationale Volksinitiativen und Referenden zusammengetragen.
Das Eingreifen des Bundesrats frustriert Romain Dubois bis heute. Der 28-jährige Anwalt und Neuenburger SP-Kantonsrat überzeugte 2021 das Parlament, bezahltes Unterschriftensammeln im Kanton zu verbieten. Selbst die SVP votierte dafür. Die Unterschriftenjäger verschwanden.
Bis 2023 der Bundesrat entschied, das kantonale Gesetz widerspreche dem Bundesgesetz. Neuenburg dürfe bezahltes Unterschriftensammeln für nationale Initiativen und Referenden nicht verbieten.
Die vielen ungültigen Unterschriften auf Initiativbögen im Kanton Neuenburg zeugen von den unredlichen Praktiken, die man verbieten wollte.
Was danach passierte, beschreibt Dubois so: «Am Tag nach dem Bundesratsentscheid tauchten Dutzende Unterschriftenjäger auf und erzählten den Leuten Unwahrheiten. Die vielen ungültigen Unterschriften auf Initiativbögen im Kanton Neuenburg zeugen von den unredlichen Praktiken, die man verbieten wollte.»
Unter anderem wurden 2019 Unterschriften gegen den Vaterschaftsurlaub gesammelt, indem man den Leuten auf der Strasse vorgab, für die Einführung des Vaterschaftsurlaubs zu unterschreiben.
Das war die gängige Praxis, und heute weiss man aufgrund der fehlerhaften Unterschriftenbögen, dass alles noch schlimmer war.
Dubois erstaunt das alles nicht. Er habe während Jahren auf zweifelhafte Praktiken hingewiesen, sagt er. Auch auf jene des Vereins Incop, den die Tamedia-Zeitungen in ihrer Recherche stark kritisieren. Incop belüge die Bürgerinnen und Bürger, ist Dubois überzeugt: «Das war die gängige Praxis, und heute weiss man aufgrund der fehlerhaften Unterschriftenbögen, dass alles noch viel schlimmer war.»
Solche Vorwürfe hat der Incop-Chef diese Woche in einem Interview mit Tamedia vehement zurückgewiesen.
Erfolgloser Anlauf für Verbot in der Waadt
Bezahlten Unterschriftensammlern ist auch der Waadtländer SP-Nationalrat Jean Tschopp in Lausanne noch und noch begegnet. Bis zu seiner Wahl nach Bern hat er sich im Waadtländer Kantonsrat vehement für ein Verbot eingesetzt. Vergeblich.
Auch FDP-Regierungsrätin Christelle Luisier war damals gegen ein Verbot. 2021 sagte sie in einer Ratsdebatte, die Demokratie koste nun einmal, und betrügerische Aktivitäten seien keine Folge von bezahltem Unterschriftensammeln. Das sah Jean Tschopp gerade andersherum. Doch das Verbot war vom Tisch.
Die Behörden schauten zu lange weg. Das Strafverfahren der BA zeigt, dass es hier um einen Angriff auf die direkte Demokratie geht.
Dass nun gerade auch die Waadt im Fokus der Bundesbehörden ist und die Bundesanwaltschaft da ein Strafverfahren führt, erstaunt Tschopp nicht. Er sagt: «Die Behörden haben zu lange weggeschaut. Das Strafverfahren der Bundesanwaltschaft verdeutlicht, dass es hier um einen Angriff auf die direkte Demokratie geht.»
Stundenlohn als taugliche Massnahme?
Tschopp fordert jetzt zumindest eine Bewilligungspflicht, damit der Staat das Unterschriftensammeln und angebliche Vereine kontrolliert. Im Kantonsrat schlug er zuletzt vor: Um die Situation zu entschärfen, sollen Unternehmen ihre Unterschriftensammler künftig pro Arbeitsstunde und nicht weiterhin pro Unterschrift bezahlen.
Romain Dubois hält hingegen am Verbot fest: Bundesrat und Bundesparlament sollen es Kantonen wie Neuenburg erlauben, bezahltes Unterschriftensammeln zu verbieten: «In der Romandie hat man genug davon.»