Lukas Dreyer stapft durch den Schnee, der sich wie ein dicker Teppich über den kleinen Weiler Fontana gelegt hat. Alles wirkt friedlich, fast idyllisch.
Doch die Ruhe täuscht. «Vor einem halben Jahr hat die Schlammlawine mein Auto mitgerissen», erzählt der pensionierte IT-Fachmann und zeigt Richtung Berg. Nur sein Haus, keine 15 Meter entfernt, blieb unversehrt – im Gegensatz zu anderen Gebäuden im Tal.
Der letzte Bewohner von Fontana
«Es hat sich angefühlt wie ein Erdbeben», erinnert er sich an die Nacht Ende Juni. Damals stürzte eine gewaltige Schlammlawine ins Tal, ausgelöst durch heftige Regenfälle.
Drei deutsche Touristinnen verloren in Fontana ihr Leben. Insgesamt kamen sieben Menschen ums Leben. Eine Person – ein Jugendlicher aus der Region – wird immer noch vermisst. Dreyer hatte Glück. Bereits drei Wochen nach der Katastrophe zog er zurück in sein Haus – als einziger ständiger Bewohner von Fontana.
Es hat sich angefühlt wie ein Erdbeben.
Angst, dass sich das Drama wiederholen könnte, hat er nicht. «Die Gefahr ist jetzt gebannt», sagt er überzeugt.
Ein Leben zwischen Naturgewalt und Existenzangst
Sieben Kilometer weiter oben im Tal, im Weiler Sonlerto, lebt Silvana Rodriguez mit ihrem Partner und ihrer fünfjährigen Tochter. Auch sie hat keine Angst vor der Natur, obwohl das Bavonatal schon mehrfach von Erdrutschen heimgesucht wurde.
«Wer hier lebt, akzeptiert, dass die Natur stärker ist als wir», sagt sie. Was Silvana jedoch Sorgen bereitet, sind die Finanzen. Sie betreibt ein kleines Bed and Breakfast und einen Kiosk – beides ist seit dem Unwetter geschlossen.
Wer hier lebt, akzeptiert, dass die Natur stärker ist als wir.
Ihr Partner pendelt für eine Teilzeitstelle nach Zürich, doch das reicht nicht aus, um die Familie über den Winter zu bringen.
«Wir hoffen auf die Gelder der Glückskette. Ohne Hilfe weiss ich nicht, wie wir bis zum Frühling durchkommen sollen», sagt Silvana Rodriguez.
Trotz der angespannten Situation wollen Silvana und ihre Familie nicht wegziehen. «Das ist unser Zuhause. Ich will nicht mit meinem Kind in einer Stadt leben», betont sie.
Das Bavonatal ist für die Zugezogenen ihre Heimat
Nach den Unwettern entbrannte in der Schweiz erneut die Diskussion, ob es wirtschaftlich überhaupt sinnvoll ist, Täler wie das Bavonatal weiterhin zu bewohnen. Lukas Dreyer sieht das anders. «Man darf das Tal nicht einfach aufgeben», sagt er entschieden. Für ihn und die anderen Bewohner ist das Bavonatal mehr als nur ein Lebensort – es ist Heimat.