Erinnert sich Lukas Dreyer an das Erlebnis des verheerenden Erdrutsches mitten in der Nacht, klopft er sich mit der Hand aufs Herz. Der pensionierte IT-Fachmann, der das obere Maggiatal (Bavonatal) seit seiner Jugend liebt und seit 15 Jahren hier wohnt, wurde wie viele andere am frühen Sonntagmorgen evakuiert.
Zehn Meter neben meinem Rustico hat ein 400-Meter breiter Erdrutsch alles unter sich begraben.
«Es war traumatisch. Mein Rustico hat stark gezittert. Als es wieder ruhig war, zündete ich mit der Taschenlampe nach draussen. Zehn Meter nebenan hat ein 400 Meter breiter Erdrutsch alles unter sich begraben.»
Glück im Unglück
Zehn Meter hohe Steinblöcke haben Häuser, Wasserleitungen und die Natur unter sich begraben. Dann ertönte der Lärm der Rega-Helikopter. «Sie flogen hin und her. Und dann sah ich, wie sie mit den Rettungswinden Körper hochziehen. Im Nachhinein weiss ich, dass sie die deutschen Touristinnen geborgen haben.»
Nach Stunden der Stille kam der Helikopter, um ihn zu evakuieren. In kurzer Zeit das Wichtigste zusammenzupacken, sei sehr schwierig gewesen: «Ich musste doch noch meine Katzen versorgen. Mein ganzes Leben war hier.»
Wenn das Leben unwirklich wird
Er habe in Cevio, weiter unten im Tal, sofort Unterschlupf bei Freunden gefunden, sagt Lukas Dreyer. Diese würden ihn sehr gut umsorgen. Es sei aber trotzdem komisch. Er warte und lebe von Tag zu Tag. Und dann kommen ihm die Tränen.
Jetzt, wo das Adrenalin weg sei, überwältigten ihn immer wieder starke Gefühle, erklärt er. Manchmal verlasse ihn der Mut. Dann wieder fühlt er sich ohnmächtig. Sein Rustico ist unversehrt. Er kann aber nicht hoch in die Gefahrenzone. Zudem ist die Wasserversorgung komplett zusammengebrochen. Wenn überhaupt, werde es noch sehr lange gehen, bis er wieder einziehen könne, sagt er.
Grosse Solidarität erfahren
Und dann liegt Dankbarkeit in seiner Stimme. Die Menschen redeten viel mehr miteinander als vor dem Unglück, sie nehmen Anteil und helfen. Ein Freund habe ihm ein Auto geliehen und angeboten, im leerstehenden Haus eines Onkels zu leben. Lukas Dreyer wird dieses Angebot wohl annehmen.
Viele Menschen teilen sein Schicksal. Das Bavonatal wurde, wie das Lavizzara-Tal, am stärksten vom Unwetter getroffen. Die Gemeindepräsidentin von Cevio, Wanda Dadò, machte klar, dass das Bavonatal noch sehr lange unzugänglich bleiben werde. Menschen wie Lukas Dreyer brauchen also viel Geduld. Denn für ihn ist klar: Er will im Tal bleiben. Trotz allem. Er ist hier zu Hause.