Die Ursache für den Unfall im Gotthard-Basistunnel am 10. August scheint klar zu sein: Laut der Schweizerischen Unfalluntersuchungsstelle (Sust) war es ein Radscheibenbruch. Einer von 30 Güterwagen entgleiste, lief über viele Kilometer ausserhalb der Schienen, wurde aber weiterhin mitgezogen.
Doch erst an der Multifunktionsstelle Faido eskalierte die Situation. Der defekte Güterwagen fuhr nicht geradeaus, wie von einer der Weichen vorgegeben, sondern wurde abgelenkt nach rechts – in den Spurwechsel zur Oströhre. Die hinteren 15 Wagen folgen ihm.
Weichen sind heikle Stellen
Dieses Schadensbild sorgt beim Bahnsicherheitsexperten Ruedi Moor für Fragezeichen: «Dass der Zug abgelenkt worden ist in den Spurwechsel – das ist eigentlich das, was mir als Erstes durch den Kopf ging, wie das hätte passieren können.»
Ruedi Moor entwickelte die Sicherungsanlagen im Gotthard-Basistunnel mit. Er ist Physiker und arbeitete über 25 Jahre bei der SBB. «Die Weichen sind eigentlich so konstruiert, dass die Zungen halten sollten, damit so etwas nicht passiert», so Moor.
Nicht nur der Radscheibenbruch wird untersucht, sondern auch, ob andere Faktoren wie die Weichen einen Einfluss auf das Geschehen hatten.
Auch Bahnsicherheitsexperte Hans-Peter Vetsch wundert sich gegenüber 10vor10: «Ich kann einfach nicht verstehen, dass die Weiche durch den entgleisten Wagen herumgedrückt worden ist und der Rest des Zuges hinterher ist.» Hans-Peter Vetsch war 24 Jahre lang für die Betriebssicherheit der Alptransit verantwortlich. Das Unternehmen hat den Gotthard-Basistunnel gebaut, inklusive Gleise und Weichen.
Die meisten ihm bekannten Unfälle passierten auf Weichen, sei es durch Radbruch oder eine Weichenverstellung unter dem fahrenden Zug. «Aber die Weiche ist eigentlich das Corpus Delicti, wo der Unfall bemerkbar wird.» Dies, weil der Zug an dieser Stelle dann auseinandergerissen würde.
Gegenüber 10vor10 sagt die Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle Sust: «Die Sust kann sich aufgrund der laufenden Untersuchung aktuell nicht zum Unfall äussern. Bei der Untersuchung wird nicht nur der Radscheibenbruch näher untersucht, sondern auch, ob andere Faktoren wie beispielsweise die Weichen einen Einfluss auf das Geschehen hatten.»
Im Gotthard-Basistunnel sind aus Sicherheitsgründen möglichst wenig Weichen verbaut worden. Dabei handelt es sich um Anlagen, die auf hohe Geschwindigkeiten ausgerichtet und rund 100 Meter lang sind.
Auch die Weichenzungen sind so konstruiert, dass sie mit grosser Kraft in ihrer jeweiligen Position verriegelt sind. Trotzdem kam es an einer Weiche zum Unfall – glücklicherweise jedoch im Tunnel, wo die beiden Röhren und die Gleise weit voneinander getrennt sind.