Bei der Diskussion um die Bilateralen mit der EU stockt es seit den gescheiterten Verhandlungen zum Rahmenabkommen im letzten Jahr. In einem NZZ-Interview vom Dienstag wirft Livia Leu, die Schweizer Chefunterhändlerin, der EU jetzt vor, mit Verzögerungen und «Druckpolitik» zu operieren.
«Die EU hat die Termine mehrmals hinausgezögert», meint Leu in einer Zwischenbilanz zu den Sondierungsgesprächen, in denen das Feld für künftige Verhandlungen abgesteckt werden soll. Diese Aussagen sorgen für Kritik aus Bundesbern.
Glaubwürdigkeit von Leu infrage gestellt
Jürg Grossen, Präsident der Grünliberalen, erachtet es als «nicht opportun, dass man solche Dinge, wenn man Probleme in einer Verhandlung hat, in einem Interview darlegt und nach aussen trägt». Ob die Verhandlungen nun von einer anderen Person weitergeführt werden sollen, könne er zwar nicht beurteilen, aber: «Ich denke, damit stellt unsere Chefunterhändlerin ihre Glaubwürdigkeit infrage.»
Kritisch äussert sich auch FDP-Nationalrat Hanspeter Portmann. Er spricht bei den massiven Vorwürfen von Livia Leu an die Adresse Brüssels von einem unwürdigen Spiel. «Wenn man an einer Lösung interessiert ist, dann macht man das so nicht, ausser man will die Verhandlungen hinauszögern.»
Sondieren müssen wir nach acht Jahren Verhandlungen nicht mehr.
Am Schluss müsse aber Livia Leu ihre Position in Brüssel verantworten, sagt Portmann. Er hätte jedoch viel lieber gehört, in welchen Bereichen die Schweiz endlich bereit ist, konkrete Lösungen anzubieten. «Sondieren müssen wir nach acht Jahren Verhandlungen nicht mehr», so der FDP-Nationalrat.
Absichten des Bundesrats unklar
Für SP-Aussenpolitiker Fabian Molina hat sich Livia Leu mit dem Interview als Schweizer Chefunterhändlerin nicht unmöglich gemacht. «Die EU verhandelt, mit wem auch immer.» Die Schweiz setze ihre Unterhändlerin ein.
Molina glaubt vielmehr, dass Leu mit den Vorwürfen an die Adresse Brüssels von ihrem Chef, Aussenminister Ignazio Cassis, ablenken wollte. «Sie versucht zu erklären, warum es nicht vorwärtsgeht und sie verschleiert, dass es der Bundesrat selber ist, der nicht vorwärtsmachen will», so Molina
Wir haben nur bruchstückhafte Informationen, und das ist schwierig für eine Meinungsbildung.
Was aber der Bundesrat wirklich wolle, wisse niemand, sagt schliesslich auch Mitte-Ständerat Pirmin Bischof. «Wir haben nur bruchstückhafte Informationen, und das ist schwierig für eine Meinungsbildung.»
Er erwarte vom Bundesrat daher ein zügiges Vorgehen. «Und daran kann auch nichts ändern, dass nächstes Jahr ein Wahljahr ist. Ein Wahljahr nicht nur für das Parlament, sondern auch für die Mitglieder des Bundesrates.»
So wendet sich der Vorwurf in sein Gegenteil. Nicht Brüssel sei das Problem, sondern vor allem Bundesrat Cassis, der nicht vorwärtsmachen wolle, weil er bereits jetzt auf seine Wiederwahl in einem Jahr schiele.