Sayragul Sauytbay wurde für ein Umerziehungslager für Uiguren zwangsrekrutiert. Nach ihrer Flucht hat sie ihre Erlebnisse niedergeschrieben. Ihre schockierende Erfahrung ist CVP-Präsident Gerhard Pfister bekannt. Er hat ihr Buch gelesen und sagt dazu: «Es hat mich darin bestätigt, dass wir solche Fragen mit China ernsthafter diskutieren müssen, als wir es bisher getan haben.»
Somit ist Pfister für eine Kursanpassung – und steht damit nicht alleine da. Im Aussendepartement wird momentan eine neue China-Strategie ausgearbeitet. Aussenminister Ignazio Cassis hat in einem Interview Ende August gesagt, die Schweiz müsse ihre Interessen und Werte gegenüber China robuster vertreten.
Man muss damit rechnen, dass eine klare Haltung gegenüber China mit Retorsionsmassnahmen beantwortet werden wird.
Je nachdem, wie robust könnte das einen Preis haben, wie Australien ihn momentan bezahlt. Unter anderem wegen kritischer Äusserungen Canberras zu den Straflagern und der Unterdrückung der Demokratie in Hongkong hat China australische Güter mit Zöllen belegt. CVP-Aussenpolitiker Pfister sagt dazu: «Man muss damit rechnen, dass eine klare Haltung gegenüber China mit Retorsionsmassnahmen beantwortet werden wird.»
Das wäre neu. Bis jetzt war die Schweiz kaum bereit, wirtschaftliche Interessen aufs Spiel zu setzen in den Beziehungen mit China. Seit Jahren fährt sie eine zweigleisige Strategie: Sie betreibt eine aktive Handelspolitik mit China – hat etwa als erstes europäisches Land ein Freihandelsabkommen abgeschlossen – und führt separat einen Menschenrechtsdialog mit Peking.
Ich fürchte, dass es weitergehen wird wie bisher: ‹Business first, Human Rights second›
Dieser Dialog habe sich als Feigenblatt erwiesen, kritisiert SP-Aussenpolitiker Fabian Molina. «Die Schweiz muss die Menschenrechtspolitik in ihre China-Strategie integrieren und ins Zentrum stellen. Ich fürchte aber, dass es weitergehen wird wie bisher: ‹Business first, Human Rights second›».
Tatsächlich ist fraglich, ob eine härtere Gangart gegenüber China im Parlament mehrheitsfähig wäre. FDP-Ständerat Damian Müller, Präsident der Aussenpolitischen Kommission, äussert sich sehr zurückhaltend.
Wir müssen schauen, wo es Opportunitäten gibt und wo die Gefahren liegen - das gilt es miteinander abzuwägen.
Es gelte zu analysieren, wo China gefährlich werden könne. «Wir müssen aber aufpassen, dass wir keinen Schnellschuss machen und alles blockieren. Wir müssen schauen, wo es Opportunitäten gibt und wo die Gefahren liegen – das gilt es miteinander abzuwägen.»
Eine Gefahr ortet Müller in den strategischen Ausland-Investitionen des Reichs der Mitte. «Wir wollen nicht, dass Schweizer Firmen oder wichtige Infrastrukturen wie etwa ein Wasserkraftwerk an die Chinesen verkauft werden.» Müller erwartet, dass der Bundesrat solche Fragen in seiner neuen China-Strategie beantwortet.
«Exzellente Wirtschaftsbeziehungen»
Da hat ein Umdenken stattgefunden. Noch vor kurzem bekämpfte die FDP eine entsprechende Motion der CVP mit dem Argument, sie sei gegen den freien Markt. Keinen Anlass für ein härteres Auftreten gegenüber China sieht dagegen SVP-Nationalrat Franz Grüter, der geschäftliche Beziehungen zu China pflegt.
Man müsse anerkennen, dass die Schweizer Wirtschaftsbeziehungen zu China exzellent seien. «Es herrscht eine jahrzehntelange, sehr vertrauensvolle und gute Zusammenarbeit. China ist nach der EU einer der wichtigsten Handelspartner für die Schweiz.»
Somit sind die Positionen bezogen. In den nächsten Monaten wird der Bundesrat entscheiden, wo sich die Schweiz gegenüber China im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft und Menschenrechten fortan positionieren will.