Die Bündner Kantonsärztin Marina Jamnicki sprach es als erste aus. Sie sagte gestern gegenüber Radio SRF: «Ich fürchte, bis wir dieses Ziel erreicht haben, wird es Herbst.» Sie ist nicht die einzige mit dieser Befürchtung. Der Zuger Kantonsarzt Rudolf Hauri, Präsident aller Kantonsärztinnen und -ärzte, der den Blick über die ganze Schweiz hat, sieht es gleich.
Dieser «ambitiöse Plan», so Hauri, dass bis Anfang Sommer alle Impfwilligen und damit 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung geimpft sein würden, müsse wahrscheinlich aufgegeben werden. «Es könnte tatsächlich Herbst werden.» Und Hauri geht noch weiter. Auf die Frage, was denn Herbst genau bedeuten könnte, präzisiert er: «Tatsächlich könnte es Spätherbst werden». Das, weil es immer wieder an irgendeiner Stelle in diesem komplexen Prozess Verzögerungen geben könne.
Skepsis aus Erfahrung
Tatsächlich sind es die bisherigen Erfahrungen, welche die Verantwortlichen in den Kantonen skeptisch werden lassen. Angefangen bei den Lieferschwierigkeiten beim Impfstoff von Pfizer/Biontech bis hin zur stockenden Zulassung des Produkts von Astra-Zeneca. Gerade mit letzterem hatten die Kantone besondere Hoffnungen verbunden. Dieser Impfstoff würde sich zum Impfen in Arztpraxen und Apotheken eignen, was die Impfkapazitäten markant erhöhen würde.
Im neusten Szenario der Armeeapotheke zur Impfstoff-Versorgung in den kommenden Monaten taucht Astra-Zeneca aber gar nicht mehr auf. Dafür sind auf dieser Lieferprognose zwei neue Impfstoffe aufgeführt, von denen der Bund zwar auch schon Dosen bestellt hat, die aber ebenfalls noch nicht zugelassen sind.
Optimistischer Bundesrat – vorsichtigeres BAG
Bundesrat Alain Berset gab sich noch letzte Woche optimistisch, das Versprechen «Ende Juni» halten zu können. Er meinte vor den Medien: «Dieses Ziel können wir gewährleisten – auch wegen der neuen Lieferverträge.» Angesprochen auf die Skepsis der Kantonsärzte äussert sich das Bundesamt für Gesundheit heute vorsichtiger. Es schreibt auf Anfrage: «Der Bund (…) geht davon aus, dass die Schweiz die vertraglich abgemachten Mengen Impfstoff pro Quartal erhalten wird. Das Ziel bleibt weiterhin, dass sich bis im Sommer alle impfen lassen können, die dies wollen.»
Kantonsärzte-Präsident Hauri ist aber selbst dann skeptisch, wenn bei den Zulassungen und den Lieferungen ab jetzt alles nach Plan laufen und im Mai und Juni sehr viel Impfstoff geliefert würde. Die Kantone hätten zwar grosse Kapazitäten bereitgestellt, aber irgendwann stosse man auch an Grenzen: «Wir können das Impfen nicht einfach beliebig beschleunigen.» Darum glaubt Hauri, dass sich der Rückstand auf die ursprüngliche Planung nicht mehr aufholen lässt.