Vogelgesang macht glücklich. Das belegen laut Livio Rey, Biologe und Mediensprecher der Vogelwarte Sempach, auch Studien. Amsel und Hausrotschwanz gehören zu den Ersten, die morgens zwitschern. Auf sie folgen die Finken, dann die Spätaufsteher unter den Vögeln: die Spatzen. Aber sie alle könnten zunehmend verstummen – denn 40 Prozent der Brutvögel bei uns sind bedroht, weitere 20 Prozent sind es potenziell.
SRF News: Singen heute weniger Vögel als früher?
Livio Rey: Studien zeigen sehr starke Rückgänge auf ganzen Kontinenten. In Europa sind demnach in den letzten Jahren 600 Millionen Vögel – jeder sechste – verschwunden, in Nordamerika sind es in den letzten knapp 50 Jahren drei Milliarden – knapp ein Drittel aller Vögel. In der Schweiz stellen wir keine so starken Rückgänge fest, aber auch hier, insbesondere im Mittelland, sind es heute viel weniger.
Warum ist die Rote Liste bedrohter Vögel in der Schweiz so lang?
Vögel sind ein Spiegel der Umwelt. Sie zeigen uns, wie wir mit der Umwelt umgehen. Und das unterscheidet sich von Lebensraum zu Lebensraum. Im Wald geht es den meisten Vogelarten gut, Handlungsbedarf besteht hingegen in Feucht- und Landwirtschaftsgebieten.
Vögel sind ein Spiegel der Umwelt. Sie zeigen uns, wie wir mit der Umwelt umgehen.
Weltweit stellt die intensive Landwirtschaft die grösste Gefahr für Vögel dar. Vielerorts werden zu viel Dünger und Pestizide eingesetzt. Dort gibt es keine Blumen, die etwa Insekten ernähren würden. Das Gras wächst zu dicht, als dass Vögel darin brüten könnten. Und gerade Wiesen werden zu oft und zu früh gemäht, was einen Bruterfolg verhindert. Wo die Landwirtschaft naturnäher praktiziert wird, gibt es mehr Vögel.
Weshalb verschwinden Vögel aus Feuchtgebieten?
Rund zwei Drittel aller Schweizer Brutvogelarten in Feuchtgebieten sind bedroht. Das Hauptproblem ist, dass viele Feuchtgebiete – wie Moore oder Auenwälder, Schilfgürtel und Uferwege – zu klein und isoliert sind. Es gibt keine für diese Gebiete essenzielle Gewässerdynamik.
Badegäste und frei laufende Hunde stören brütende Vögel.
Zusätzlich kommt es zu Störungen durch den Menschen, der sich natürlich auch sehr gern an Gewässern aufhält. Badegäste oder frei laufende Hunde stellen eine grosse Störung für brütende Vögel dar.
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Wie steht es um Vogelarten, die sich in Siedlungsgebieten den Platz mit Menschen teilen müssen?
In gewissen Gebieten geht der Haussperling zurück. Dieser Trend ist zwar nicht schweizweit feststellbar, aber tatsächlich gehen in vielen Siedlungen Brutplätze wie Nischen oder kleine Höhlen verloren.
Gärten werden oft sehr intensiv gepflegt. Jede Woche wird der Rasen gemäht. Es wachsen exotische statt heimische Gewächse. Und das ist sowohl für Vögel als auch Insekten uninteressant.
Was können Einzelpersonen tun, um Vögeln ein Zuhause zu bieten oder ihnen zumindest keines wegzunehmen?
Man kann zu Hause direkt am Haus Nischen anbringen und einen vogelfreundlichen Garten anlegen, also vor allem einheimische Sträucher und Bäume pflanzen sowie Blumenwiesen stehen lassen. Viele Landwirtinnen und Landwirte setzen sich sehr für die Biodiversität ein – sie kann man unterstützen, indem man naturfreundlich produzierte Waren kauft.
Was wird auf politischer Ebene getan, damit die Rote Liste der Vögel in der Schweiz nicht noch länger wird?
Es gilt, die bestehenden Naturschutzflächen zu erhalten und aufzuwerten und eben die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass beispielsweise eine naturfreundliche Produktion von Lebensmitteln gefördert wird. Davon profitieren die Vögel und auch wir als Konsumentinnen und Konsumenten.
Das Gespräch führte Reena Thelly.