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Volkskrankheit Präsentismus Warum wir uns immer wieder krank zur Arbeit schleppen

Die Forschung nennt es «Präsentismus», der Volksmund «bireweich»: Eine Studie ergründet, warum wir krank zur Arbeit gehen.

Die Schweiz schnieft und schnoddert. Wie so oft zu Beginn der kalten Jahreszeit. Und doch pilgern zahllose Menschen zur Arbeit, obwohl sie sich krankschreiben lassen könnten. «Präsentismus» nennt die Arbeitswissenschaft das Phänomen.

Für viele Arbeitnehmende kommt es nämlich nicht infrage, sich wegen eines Schnupfens oder Kopfschmerzen krankzumelden. Frühmorgens greifen sie in den Tablettenschrank oder zum altbewährten Hausmittel. Irgendwie wird es schon gehen.

Pendlerinnen und Pendler warten auf Zug.
Legende: Im Pendlerzug wird gehustet und geschnäuzt, auf dem Bürotisch liegen die Taschentücher bereit: Die Viren haben wieder Hochsaison. Keystone/Gaetan Bally

Aber gehören diese Leute auch an den Arbeitsplatz? Nein, findet die Swica. In einem Erklärvideo warnt die Schweizer Kranken- und Unfallversicherung davor, dass Präsentismus «nicht nur Ihnen, sondern auch Ihrem Unternehmen schadet.»

Der Versicherer hat eigens eine Studie in Auftrag gegeben , um zu klären, warum Präsentismus branchenübergreifend verbreitet ist. Durchgeführt hat sie die Berner Fachhochschule.

Weder gesund noch produktiv

Laut den Forschenden ist die Arbeit in angeschlagenem Zustand aus mehreren Gründen problematisch: «Kranke Mitarbeitende stecken ihre Kolleginnen und Kollegen an, sind nachweislich länger krank und riskieren eine chronische Erkrankung und somit noch längere Abwesenheiten.»

Rund die Hälfte betreibt Präsentismus

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Insgesamt haben 2785 Mitarbeitende aus 17 Unternehmen in der Schweiz an der Studie teilgenommen. Unter allen Befragten gaben 1033 Personen (37 Prozent) an, in den letzten zwölf Monaten nicht krank gewesen zu sein. Von den restlichen 1752 Teilnehmenden gaben 296 an, trotz Krankheit in den letzten zwölf Monaten keinen Präsentismus betrieben zu haben.

«Folglich haben 1456 Teilnehmende in den letzten zwölf Monaten Präsentismus in unterschiedlichem Ausmass betrieben, was einen Anteil von 52 Prozent von allen Teilnehmenden ausmacht», wie die Studienautoren schreiben.

Was treibt die von Präsentismus Befallenen also an? Mit diesen Fragen beschäftigte sich Christoph Golz, der Projektleiter der Studie. Sein Verdikt: Die Gründe, warum wir krank zur Arbeit gehen, sind vielfältig und können sich je nach Berufsfeld unterscheiden.

In sozialen Berufen seien die Menschen häufig vom schlechten Gewissen getrieben, führt Golz aus. So wollten sie ihr Team nicht zusätzlich belasten und auch die Patientinnen oder Schüler nicht «allein» lassen.

Die Chefetage hat Vorbildfunktion

Besonders ausgeprägt ist der Präsentismus in Berufen, in denen man vor Ort gefordert ist und in denen das «System» von Ausfällen stark belastet wird. In Gesundheitsberufen und im Baugewerbe sei die Haltung verbreitet, sich einen Ausfall schlicht nicht «leisten» zu können, schildert der Experte.

Bauarbeiter
Legende: Gerade im Baugewerbe sind chronische Gesundheitsprobleme und Schmerzen häufig. Doch gerade weil sie chronisch sind, werden sie nicht als Grund angesehen, um der Arbeit fernzubleiben – und verschlimmern sich. Ein Teufelskreis. Keystone/Peter Schneider

Bei denjenigen, die einen Job in einem Büro haben und weniger stark in ein Team eingebunden sind, zeigt sich ein anderes Bild: Sie plagt oft der Gedanke, dass sich die Arbeit stapelt, wenn sie krankheitsbedingt ausfallen.

Es wird wahrgenommen, wenn Vorgesetzte mit Symptomen zur Arbeit kommen. Die Mitarbeitenden nehmen dann an, dass sich das so gehört.
Autor: Christoph Golz Projektleiter der Präsentismus-Studie der Berner Fachhochschule

Zum Druck, den man sich selber macht, kommt der Druck von «oben» und durch die Kollegen. So gaben die Befragten in der Studie auch an, dass es von ihnen erwartet werde, krank zur Arbeit zu erscheinen. Schliesslich «machen das bei uns alle so».

Frau arbeitet im Homeoffice
Legende: Homeoffice ist Fluch und Segen zugleich: Wer es nicht ins Büro schafft, hat eine «niederschwellige» Möglichkeit, um doch noch einiges zu erledigen. Gesundsheitsfördernd ist auch das nicht. Imago/Ingimage

Das Gefühl, nicht fehlen zu dürfen, ist besonders in Berufsfeldern mit hartem Konkurrenzkampf gross. «Hier sind die Ängste besonders ausgeprägt, dass man im Krankheitsfall Nachteile erfährt, wenn man sich nicht tagtäglich beweist», sagt Golz.

Was tun?

Die Studienautoren kommen zum Schluss, dass die Unternehmenskultur massgeblichen Anteil daran hat, ob die Angestellten sich krank an den Arbeitsplatz quälen. Hier seien auch die Vorgesetzten gefordert, mahnt der Experte: «Es wird wahrgenommen, wenn sie mit Symptomen zur Arbeit kommen. Die Mitarbeitenden nehmen dann an, dass sich das so gehört.»

Generell müsse man sich auch stärker bewusst werden, dass das «Durchsiechen» neben körperlichen auch psychische Langzeitfolgen haben könne – und Menschen in den Burnout treiben kann. Golz’ Fazit: «Bei Präsentismus gibt es keine Gewinner.»

Frauen beissen öfter auf die Zähne

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Frau mit Krankheitssymptomen am Arbeitsplatz
Legende: Imago/Panthermedia

Die Studie zeigt weiterhin, dass Männer weniger häufig krank zur Arbeit gehen als Frauen. Für Christoph Golz spielt auch hier die Gewissenhaftigkeit hinein: «Typischerweise handelt es sich hier um teilzeitarbeitende Frauen, die auch zuhause Verantwortung tragen und denken, dass sie trotzdem ihren beruflichen Pflichten nachkommen müssen.» In solchen Fällen sei die Gefahr gross, dass man Kompromisse eingehe – auch auf Kosten der eigenen Gesundheit.

Zudem sind laut der Studie ältere Mitarbeitende eher von Präsentismus betroffen. Und auch zwischen den Regionen gibt es Unterschiede: In der Deutschschweiz gehen Menschen häufiger arbeiten, obwohl sie sich krank fühlen, als im Tessin oder der Romandie.

Podcast News Plus: Dominik Brand (Moderation), Corina Heinzmann (Redaktion)

SRF 4 News, 20.11.2024, 17:15 Uhr;stal

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