Die Schweiz schnieft und schnoddert. Wie so oft zu Beginn der kalten Jahreszeit. Und doch pilgern zahllose Menschen zur Arbeit, obwohl sie sich krankschreiben lassen könnten. «Präsentismus» nennt die Arbeitswissenschaft das Phänomen.
Für viele Arbeitnehmende kommt es nämlich nicht infrage, sich wegen eines Schnupfens oder Kopfschmerzen krankzumelden. Frühmorgens greifen sie in den Tablettenschrank oder zum altbewährten Hausmittel. Irgendwie wird es schon gehen.
Aber gehören diese Leute auch an den Arbeitsplatz? Nein, findet die Swica. In einem Erklärvideo warnt die Schweizer Kranken- und Unfallversicherung davor, dass Präsentismus «nicht nur Ihnen, sondern auch Ihrem Unternehmen schadet.»
Der Versicherer hat eigens eine Studie in Auftrag gegeben, um zu klären, warum Präsentismus branchenübergreifend verbreitet ist. Durchgeführt hat sie die Berner Fachhochschule.
Weder gesund noch produktiv
Laut den Forschenden ist die Arbeit in angeschlagenem Zustand aus mehreren Gründen problematisch: «Kranke Mitarbeitende stecken ihre Kolleginnen und Kollegen an, sind nachweislich länger krank und riskieren eine chronische Erkrankung und somit noch längere Abwesenheiten.»
Was treibt die von Präsentismus Befallenen also an? Mit diesen Fragen beschäftigte sich Christoph Golz, der Projektleiter der Studie. Sein Verdikt: Die Gründe, warum wir krank zur Arbeit gehen, sind vielfältig und können sich je nach Berufsfeld unterscheiden.
In sozialen Berufen seien die Menschen häufig vom schlechten Gewissen getrieben, führt Golz aus. So wollten sie ihr Team nicht zusätzlich belasten und auch die Patientinnen oder Schüler nicht «allein» lassen.
Die Chefetage hat Vorbildfunktion
Besonders ausgeprägt ist der Präsentismus in Berufen, in denen man vor Ort gefordert ist und in denen das «System» von Ausfällen stark belastet wird. In Gesundheitsberufen und im Baugewerbe sei die Haltung verbreitet, sich einen Ausfall schlicht nicht «leisten» zu können, schildert der Experte.
Bei denjenigen, die einen Job in einem Büro haben und weniger stark in ein Team eingebunden sind, zeigt sich ein anderes Bild: Sie plagt oft der Gedanke, dass sich die Arbeit stapelt, wenn sie krankheitsbedingt ausfallen.
Es wird wahrgenommen, wenn Vorgesetzte mit Symptomen zur Arbeit kommen. Die Mitarbeitenden nehmen dann an, dass sich das so gehört.
Zum Druck, den man sich selber macht, kommt der Druck von «oben» und durch die Kollegen. So gaben die Befragten in der Studie auch an, dass es von ihnen erwartet werde, krank zur Arbeit zu erscheinen. Schliesslich «machen das bei uns alle so».
Das Gefühl, nicht fehlen zu dürfen, ist besonders in Berufsfeldern mit hartem Konkurrenzkampf gross. «Hier sind die Ängste besonders ausgeprägt, dass man im Krankheitsfall Nachteile erfährt, wenn man sich nicht tagtäglich beweist», sagt Golz.
Was tun?
Die Studienautoren kommen zum Schluss, dass die Unternehmenskultur massgeblichen Anteil daran hat, ob die Angestellten sich krank an den Arbeitsplatz quälen. Hier seien auch die Vorgesetzten gefordert, mahnt der Experte: «Es wird wahrgenommen, wenn sie mit Symptomen zur Arbeit kommen. Die Mitarbeitenden nehmen dann an, dass sich das so gehört.»
Generell müsse man sich auch stärker bewusst werden, dass das «Durchsiechen» neben körperlichen auch psychische Langzeitfolgen haben könne – und Menschen in den Burnout treiben kann. Golz’ Fazit: «Bei Präsentismus gibt es keine Gewinner.»
Podcast News Plus: Dominik Brand (Moderation), Corina Heinzmann (Redaktion)