Sonntagnachmittag, auf einer grünen Wiese zwischen Marthalen und Benken. Atomkraftgegner haben sich hier versammelt, um gegen das geplante Tiefenlager für radioaktiven Abfall zu demonstrieren. Das Zürcher Weinland (Zürich Nordost) ist einer von drei Standorten, den die Nagra für ein Tiefenlager in Betracht zieht. Der zweite liegt im Zürcher Unterland (Nördlich Lägern), der dritte ist im Kanton Aargau (Jura Ost Bözberg). Mitte September wird der endgültige Standort-Entscheid erwartet.
«Wir sind nicht der nationale Abfallkübel», steht auf einem Transparent, aufgespannt zwischen zwei Traktoren. «Mehr Rad-Aktivität statt Radio-Aktivität», verkündet ein anderes Plakat, etwas verloren, mitten auf dem Feld platziert. Auch die Schaffhauser SP-Nationalrätin Martina Munz will weiter gegen ein mögliches Tiefenlager in der Region kämpfen. Für sie sind noch zu viele Fragen offen, um jetzt einen Entscheid zu fällen. «Es sind noch längst nicht alle sicherheitsrelevanten Fragen geklärt.»
Falls etwas leckt, müssen wir das Lager ausräumen können.
Zwar honoriere sie die Bemühungen der Nagra (Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle), Lösungen zu finden, aber es fehle zum Beispiel ein Konzept, um den Atommüll zurückzuholen. «Falls etwas leckt, müssen wir das Lager ausräumen können.» Ungeklärt seien auch die Folgen für das Tiefengrundwasser.
Die kämpferischen Parolen auf Plakaten und in Reden täuschen jedoch kaum darüber hinweg, dass die Anti-Atom-Bewegung an Strahlkraft verloren hat. Wenige Hundert Menschen haben sich auf der Wiese im Zürcher Weinland eingefunden. Erwartet hatten die Organisatoren über tausend Teilnehmende. Noch 2008 hatten am selben Ort 2000 Menschen gegen ein mögliches Tiefenlager protestiert.
«Heute wollen wir in dieser wunderbaren Landschaft Flagge zeigen, ihr dürft also gerne laut sein und applaudieren.» Der Appell von Mitorganisator Jean-Jacques Fasnacht an die Demonstrierenden wird engagiert quittiert, doch so laut wie auf der Wiese ist der Widerstand in den betroffenen Gemeinden nicht.
Resigniertes Schulterzucken und angespanntes Warten
Auf dem Dorfplatz in Marthalen sind sich die Angesprochenen weitgehend einig: «Irgendwo wird das Endlager hin müssen.» Klar sei es nicht schön, wenn es nach Marthalen komme. «Aber ich sehe nicht, dass wir das wahnsinnig steuern können.»
Jede Region wird glücklich sein, wenn der Kelch vorbeigeht.
Andere wie Jürg Grau sind, nur Tage vor der Entscheidung, angespannt. Seit elf Jahren steht er als Vertreter des Zürcher Weinlands mit der Nagra im Austausch. «Der Ort, der bestimmt wird – da wird die ganze Welt hinsehen.» Für ihn sei zentral, dass die Nagra ihren Entscheid gut begründe. Dann werde auch die Bevölkerung mitziehen. Aber wie alle anderen, wäre er auch froh, wenn der Kelch an ihnen vorbeigehen würde. Die Stimmung sei sehr pragmatisch, sagt Barbara Franzen, FDP-Kantonsrätin und Mitglied der Regionalkonferenz Nördlich Lägern, aber auch etwas angespannt.
Man wartet etwas gespannt – oder auch angespannt.
Was sie, aber auch ihr Kollege Ueli Müller von der Regionalkonferenz Jura Ost, vermissen, sei das Interesse der breiten Bevölkerung. Dass die Menschen erst reagieren, wenn der Entscheid gefallen ist und erst dann realisieren, dass sie kein Tiefenlager vor der Haustür wollen. Das sei ein Problem, sagt Müller, viele Leute hätten sich nur wenig mit dem Tiefenlager auseinandergesetzt: «Für die ist alles neu, da kommen immer dieselben Fragen.» Es seien aber Fragen, welche die Nagra beantworten müsse. In wenigen Tagen wird es so weit sein.