Seit Beginn der Ukraine-Krise wiederholt der Bundesrat, einem Mantra gleich, seine Haltung bei den Sanktionen gegen Russland. Die Schweiz übernehme von Fall zu Fall die Sanktionen der wichtigsten Handelspartner, wie die Sanktionen der EU gegen Russland, aber die Schweiz ergreife nicht autonom Sanktionen gegen eine Seite. Doch nun gerät diese traditionelle Schweizer Haltung immer stärker unter Druck – und das hat auch etwas mit dem allgemeinen Misstrauen vieler Parlamentarierinnen und Parlamentarier gegenüber dem Bundesrat zu tun.
Nationalratskommission will Paradigmenwechsel
Mit 14 zu sieben Stimmen überwies eine solide Mitte-Links-Mehrheit der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates verschiedene Vorstösse, die alle in die gleiche Richtung gehen: Die Schweiz soll auch eigenständig Sanktionen ergreifen können.
Der Kommissionspräsident, SVP-Nationalrat Franz Grüter, bezeichnete dies als eigentlichen Paradigmenwechsel. Ein Paradigmenwechsel gegen den Willen seiner eigenen Partei, gegen den Willen auch mancher FDP-Vertreter und vor allem gegen den Willen des Bundesrates. Die einen argumentieren, die Schweiz würde sich so angreifbar manchen, andere monieren, dies widerspreche der Neutralität, und der Bundesrat sieht dadurch die guten Dienste der Schweiz in Gefahr.
Gesetzesänderung als Druckmittel
Doch diese traditionellen Argumente haben im Angesicht des Ukraine-Krieges keine Gültigkeit mehr. Bemerkenswert ist, dass es die angestrebte Gesetzesänderung gar nicht unbedingt bräuchte. Der Bundesrat könnte, wenn er das Interesse des Landes tangiert sieht, bereits heute von sich aus Sanktionen ergreifen. Das Embargo-Gesetz verweist nämlich explizit auf den entsprechenden Notrechtsartikel in der Verfassung.
Manche Parlamentarier sind denn auch der Meinung, der Bundesrat hätte schon lange weitergehende Sanktionen gegen Russland ergreifen müssen; weil die Schweiz ein so wichtiger Handelsplatz für russische Rohstoffe und für russische Gelder ist. Doch vom Bundesrat kam nichts. Deshalb sieht sich eine Mitte-Links-Mehrheit nun gezwungen, eine Gesetzesänderung aufzugleisen, um auch so den Druck auf den Bundesrat zu erhöhen. Und wenn es dann einmal eine gesetzliche Grundlage gibt, dass die Schweiz auch von sich aus Sanktionen ergreifen kann, wird sich auch der Bundesrat daran halten müssen.
Uneinigkeit zwischen Bundesrat und Verwaltung
Manche Parlamentarier dürften sich auch durch die heutige Kommissionssitzung in ihrem Misstrauen gegenüber dem Bundesrat bestätigt sehen. Denn auch heute sollen Bundesrat und Verwaltung kein einheitliches Bild abgegeben haben. Während die Vertreter des Wirtschaftsdepartements betont haben sollen, dass die Schweiz heute keine eigenständigen Sanktionen erlassen könne, stellte Bundespräsident Cassis dies mindestens teilweise infrage.
Da fragt man sich, ob der Bundesrat eigentlich eine einheitliche Linie verfolgt, oder ob jedes Departement gerade die Politik betreibt, die der eigenen Weltanschauung am meisten entspricht. Wie dem auch sei – nach der Aussenpolitischen Kommission wird sich nun der Nationalrat mit den überwiesenen Vorstössen beschäftigen. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse ist davon auszugehen, dass auch das Plenum der Gesetzesänderung zustimmen wird.