Den Zürcher SVP-Nationalrat Alfred Heer darf man wohl als ein bisschen kauzig bezeichnen. Er ist nicht leicht durchschaubar und vielleicht etwas unberechenbar. Und jetzt vor der Delegiertenversammlung seiner Partei – als Präsidentschaftskandidat von der SVP-Rennleitung übergangen – ging er kurzerhand auf Tauchstation statt wie von ihm erwartet seinen Verzicht zu erklären.
Aber Heer ist auch schlau, hat viel politischen Spürsinn und ist ein gewiefter Taktiker. Und er hat sich um die SVP verdient gemacht: Er hat die Zürcher Kantonalpartei sieben Jahre lang geführt – von Erfolg zu Erfolg.
Kür im Hinterzimmer statt Roadshow
Dass die SVP Schweiz es sich geleistet hat, Heer zu übergehen, steht sinnbildlich für das Vorgehen der Partei bei dieser Vakanz an ihrer Spitze. Es mag für die SVP Tradition haben, mit Einerkandidaturen vor die Delegierten zu treten. Aber im heutigen politischen Umfeld wirkt diese Kür des Präsidenten im Hinterzimmer eigenartig aus der Zeit gefallen.
Andere Parteien im In- und Ausland inszenieren parteiinterne Ausmarchungen mit Roadshows, Hearings, Urabstimmungen. Die SVP setzt eine Findungskommission ein, die über Monate im Geheimen arbeitet und am Ende einen einzigen Namen präsentiert.
Damit hat die Partei, die sich seit einiger Zeit im Formtief befindet, auch eine Chance verpasst. Mit einer spannenden, öffentlichkeitswirksamen Ausmarchung um die Parteispitze wäre die SVP in den Medien präsent gewesen – wenige Wochen vor der Abstimmung über die ihr doch so wichtige Begrenzungsinitiative. Stattdessen machte Partei-Doyen Christoph Blocher Schlagzeilen mit seinem späten Begehren um eine Bundesratsrente.
Chance für Neuanfang?
Möglich also, dass der neue SVP-Präsident Marco Chiesa gleich zu Beginn seiner Amtszeit Ende September eine krachende Niederlage an der Urne wird erklären müssen. Kein idealer Start, aber vielleicht auch die Chance für einen Neuanfang. Der Tessiner mag bis jetzt in Bundesbern wenig aufgefallen sein. Das war aber zum Beispiel bei Petra Gössi nicht anders, bevor sie FDP-Parteipräsidentin wurde.
Wenn es Chiesa in den nächsten Monaten gelingt, in der Deutschschweiz eine glaubwürdige Stimme seiner Partei zu werden, wird niemand mehr seine Kompetenz infrage stellen. Auch wenn er, wie viele SVP-Parteipräsidenten vor ihm, gegen die Unterstellung wird kämpfen müssen, der SVP-Kurs werde ohnehin in Herrliberg festgelegt.