Bei den letzten Wahlen vor vier Jahren erlebte die SVP eine herbe Niederlage. Ein Jahr später entschied sich die Partei überraschend für den Tessiner als Präsidenten. Findet die wählerstärkste Partei unter seiner Leitung wieder auf den Erfolgskurs zurück? Höchste Zeit für kritische Fragen von Wählerinnen und Wählern.
Zuwanderung: Von wo sollen die Fachkräfte kommen?
Adrian Weber, Pflegeexperte Geriatrie aus Bern, findet, es seien «vom Chefarzt bis zur Reinigungskraft» Eingewanderte, die das Gesundheitssystem am Laufen hielten. SVP-Präsident Marco Chiesa, einst selbst Geschäftsführer eines Altersheims, widerspricht dem nicht. «Die Italiener, die Deutschen und die Franzosen sind aber auch nicht glücklich darüber, ihr Personal an die Schweiz zu verlieren», merkt er an. Nicht zuletzt deswegen müsse die Schweiz mehr eigene Fachkräfte ausbilden. Die Spirale der Zuwanderung dreht sich gemäss dem SVP-Parteipräsidenten immer schneller. «Mehr Zuwanderung bringt noch mehr Zuwanderung.» Aus diesem Grund müsse die Schweiz nun die Einwanderung gemäss den Vorschlägen der SVP steuern.
Nachhaltigkeit: Kapert die SVP grüne Terminologie?
Die SVP präsentierte jüngst ihre «Nachhaltigkeitsinitiative – keine 10-Millionen-Schweiz». Bei der Grünen-Wählerin Marianne Keel (60) aus Winterthur kommt das nicht gut an. «Sie verpacken eine neue Überfremdungsinitiative, die nichts mit Nachhaltigkeit zu tun hat, mit grüner Begrifflichkeit.» Den Vorwurf des Wortklaus lässt Chiesa nicht gelten. «Wir können sparen und effizienter werden, so viel wir wollen; aber wenn Jahr für Jahr 80'000 Menschen netto einwandern, dann nützt alles nichts.» Handlungsbedarf sieht er auch im Asylwesen, in dem es zu Betrug komme. «Wären viele dieser Menschen wirklich auf der Flucht, müssten sie gemäss dem Dublinsystem nach Italien zurückkehren. Das tun sie aber nicht.»
Klimawandel: Macht die SVP zu wenig?
Louis Hochuli, Lernender aus dem Kanton Bern und Mitglied der Jungen Grünen, will vom Tessiner Ständerat Chiesa wissen, wieso die SVP angesichts überwältigender Beweise nicht mehr Massnahmen gegen den Klimawandel fordere. «Die Schweiz ist für 0.1 Prozent der Emissionen weltweit verantwortlich. Wir können den Klimawandel nicht für die ganze Welt lösen. Wir müssen aber die Versorgungssicherheit in unserem Land sicherstellen», so Chiesa. Der Verzicht auf die Kernkraft sei dahingehend eine verpasste Chance. Während andere Länder in neue Technologien investieren, herrsche hierzulande ein Denkverbot. Im Rahmen der Energiestrategie 2050 seien zudem Versprechen gemacht worden, die nicht eingehalten werden könnten. «Heute müssen wir Kohlestrom aus Deutschland importieren. Das ist nicht nachhaltig.»
Gendersprache: die SVP als Verbotspartei?
Die SVP sieht in der gendergerechten Sprache eine Bedrohung. Wie passe das mit der Forderung nach feier Meinungsäusserung der Volkspartei zusammen, will Sophie Meyer, Gymnasiastin aus dem Kanton Zürich, wissen. «Wir leben in verrückten Zeiten», so Marco Chiesa. Wenn die Stadt Zürich, wie jüngst bekanntgegeben, nur noch von «Elternteilen» und nicht mehr «Müttern» und «Vätern» sprechen will, oder Steuergelder für Kindervorlesungen von Dragqueens ausgegeben werden, runzelt der SVP-Parteipräsident die Stirn. «Mit solchen Entwicklungen habe ich etwas Mühe. Ich will nicht, dass eine kleine Minderheit die grosse Mehrheit bevormundet.»
Beziehungen zur EU: Wie kann die Schweiz den bilateralen Weg retten?
Martin Arnold aus Oberbipp will wissen, wie die EU-kritische SVP am bilateralen Weg festhalten wolle. SVP-Präsident Marco Chiesa plädiert dafür, dass die weiteren Verhandlungen mit Brüssel auf Augenhöhe stattzufinden hätten. Die Schweiz habe Stärken, die sie in die Waagschale werfen könne, um die heutigen Probleme bei der Personenfreizügigkeit und beim Schengen/Dublin-Abkommen zu beseitigen. «Wir wollen gute wirtschaftliche, aber keine institutionellen Beziehungen.»