- Im letzten SRG-Wahlbarometer vor den Wahlen am 22. Oktober können SVP und SP noch einmal zulegen.
- Die Mitte liegt hauchdünn vor der FDP. Grüne und GLP verlieren.
- Die Krankenkassenprämien werden von den Befragten klar als wichtigste politische Herausforderung wahrgenommen.
Aus Gewinnern werden Verlierer – und umgekehrt: Diese Schlagzeile könnte am 22. Oktober über den eidgenössischen Wahlen thronen. Denn im letzten Wahlbarometer der SRG vor dem Urnengang legen die SVP, SP und Mitte gegenüber den Wahlen von 2019 zu. Die Grünen und GLP müssen Verluste hinnehmen. Als einzige Partei könnte allerdings die FDP das zweite Mal in Folge verlieren.
Die SVP ist im Aufwind, die Grünen lassen Federn: Steuert die Schweiz auf einen Rechtsrutsch zu? Ja, sagt Michael Hermann, Leiter der Forschungsstelle Sotomo, welche die Umfrage im Auftrag der SRG durchführte. Doch gleichzeitig relativiert der Politologe: «Ein Teil der grünen Verluste dürfte an die SP gehen und die FDP ist eher in der Defensive. Deshalb wird es nicht so stark nach rechts gehen, wie es 2015 der Fall war.»
Und: Grüne und GLP könnten noch immer das zweitbeste Resultat ihrer Geschichte realisieren. Der «Grünrutsch» von 2019 dürfte aber in eineinhalb Wochen ein Stück weit korrigiert werden. Die Grünen drohen sogar unter die symbolisch wichtige Zehn-Prozent-Grenze zu fallen, nachdem sie vor vier Jahren noch 13.2 Prozent der Stimmen geholt hatten.
Prämienschock und konservativeres Klima
Mitverantwortlich dafür ist auch die Themenkonjunktur. «Wenn soziale Themen wichtiger werden, profitiert die SP zulasten der Grünen», erklärt der Politologe. Das eine soziale Thema, das die Befragten umtreibt, sind die steigenden Krankenkassenprämien. Sie stellen für die Hälfte der Befragten die grösste politische Herausforderung im Land dar. «Der Prämienschock hat der SP noch einmal zusätzlichen Schub verliehen», sagt Hermann.
Das «grüne» Thema Klimawandel figuriert zwar immer noch weit oben auf dem Sorgenbarometer. «Aber am Schluss ist einem das eigene Hemd dann doch näher», führt Hermann aus. «Wenn die Krankenkassenprämien gesenkt werden, nützt uns das direkt. Wenn wir etwas fürs Klima tun, nützt das der Welt.»
Und ebenso wie der Klimawandel beschäftigt die Zuwanderung die Menschen – das Steckenpferd der SVP, die mit grossem Abstand stärkste Partei bleiben dürfte. «Wir haben aber generell ein konservativeres Klima als vor vier Jahren, als ein eher ökologischer und progressiver Zeitgeist vorgeherrscht hat», sagt Hermann. «Und auch das hilft der SVP.»
Die FDP ist zwar einigermassen stabil, aber Aufbruchstimmung sieht anders aus. Auch, weil sie als einzige Partei kein klares Leitthema habe, schätzt Hermann: «Bei der FDP wäre es zwar die Wirtschaft, aber diese bereitet momentan noch den wenigsten Leuten Sorge.»
Die Mitte-Partei kann sich in der Umfrage knapp vor der FDP positionieren und wäre damit drittstärkste Partei. Allerdings: Wer die Nase tatsächlich vorn hat, lässt sich aufgrund des Stichprobenfehlers von +/-1.2 Prozentpunkten in der Umfrage nicht sagen.
Bestätigt sich das Verdikt am 22. Oktober, könnte dies auch Diskussionen um die parteipolitische Zusammensetzung des Bundesrats befeuern. Denn gemäss Zauberformel haben die drei grössten Parteien jeweils Anspruch auf zwei Sitze in der Landesregierung.
Die GLP verliert nach ihrem Erfolg von 2019 an Rückenwind. Sie leide unter der eher konservativen, krisenorientierten Stimmung im Land, schliesst Hermann. «Da ist eine Partei, die Veränderung und Leistung will, vielleicht etwas weniger gefragt.»
Deutsch- und Westschweiz ticken anders
Bemerkenswert: In der Deutschschweiz holt die SVP fast einen Drittel der Wählerschaft ab. In der Westschweiz sind die politischen Verhältnisse allerdings deutlich ausgeglichener – und die SP ist stärkste Kraft. «Das hat auch damit zu tun, dass die Grünen vor vier Jahren quasi explodiert sind in der Romandie», sagt Hermann. «Jetzt schlägt das Pendel wieder zurück Richtung SP.»
Hermann merkt grundsätzlich an, dass sich das politische Profil zwischen den beiden Sprachregionen unterscheidet. «Die Romandie stimmt bei Abstimmungen öffnungsorientierter, ökologischer und linker.» Das Ergebnis ähnelt oft demjenigen grosser Deutschschweizer Städte – auch dort schneidet die SVP schwächer ab. «Nationalkonservative Werthaltungen sind dagegen in der Deutschschweiz verbreiteter. Entsprechend ist hier auch das SVP-Gedankengut stärker verankert.»
Kulturkampf zwischen SVP und Grünen
Sotomo stellt eine zunehmende gesellschaftliche Polarisierung fest: Wer grün wählt, hat in fast drei Viertel der Fälle eine stark negative Haltung gegenüber Menschen, die SVP wählen. Das Gleiche gilt auch umgekehrt. «Die Grünen stehen für vieles, das die konservative Basis schlecht findet: Wokeness, Gender und so weiter», so der Politologe. Klar die negativsten Gefühle hegen die Wählenden anderer Parteien allerdings gegen die SVP-Basis.
42 Prozent der Befragten stören sich an dieser konfrontativen Stimmung und dem Verlust der Debattenkultur im Land. Im Unterschied zu den USA, wo dieser Kulturkampf tiefe gesellschaftliche Gräben hinterlässt, gibt es in der Schweiz aber auch einen «politischen Kitt im System», wie ihn Hermann nennt: die politische Mitte. «Und davon könnte gerade die Partei profitieren, die sich selbst die Mitte nennt und sich als Partei des Zusammenhalts bezeichnet.»