Er hat viele Eigenschaften, die erfolgreiche Politiker in der Regel nicht haben: einen Migrationshintergrund, eine Körperbehinderung und eine Sprechbehinderung. Und er heisst auch noch Islam.
Islam Alijaj. «Dass so jemand ins nationale Parlament gewählt wird, ist aussergewöhnlich.» Das sagt Islam Alijaj über sich selber. Der 36-jährige SP-Gemeinderat aus der Stadt Zürich wurde am 22. Oktober in den Nationalrat gewählt. Trotz allem, was eigentlich dagegenspricht.
Eine Geschichte wie aus Hollywood
«Ich werde Nationalrat. Irgendwann. In drei Jahren, in zehn Jahren oder in 20 Jahren.» Das sagte Islam Alijaj 2021 in einer DOK-Sendung des Schweizer Fernsehens. Nun hat er den Sprung ins nationale Parlament zum frühestmöglichen Zeitpunkt geschafft. «So eine Geschichte kann man sich nur in Hollywood ausdenken. Oder in Zürich», meint er. Immer dabei: Seine Assistentin, die seine Aussagen wiederholt.
Wegen seiner Cerebralparese kann er seine Muskeln nicht richtig ansteuern, auch seine Zunge nicht. Seine Aussprache ist deshalb undeutlich. Ein Umstand, der im Alltag viel Kraft und Energie kostet. Er wird eigentlich immer unterschätzt.
Im ersten Moment, wenn mich die Leute sehen, meinen Sie vielfach, dass ich auch geistig nicht voll da bin.
Auch als Kind und Jugendlicher musste er stets dafür kämpfen, dass er ernst genommen wird. Geboren im Kosovo, verbringt er seine Schulzeit in einer Sonderschule. Mit 16 ist er auf dem schulischen Niveau eines Zwölfjährigen.
Auch die KV-Lehre findet gegen seinen Willen in einem geschützten Bereich statt. Trotz guter Noten stellen sich Arbeitgeber und IV gegen ein Studium. Es sind Hindernisse und Ausgrenzungen wie diese, die ihn schliesslich in die Politik bringen. «Behindertenorganisationen gaben stets der Politik die Schuld, dass beim Thema Inklusion nichts läuft. Da dachte ich in rührender Naivität: Ok, gehe ich mal in die Politik.»
Das Stimmvolk ist viel weiter als viele Funktionäre in den Parteien.
Erst vor sechs Jahren trat er der SP bei. Vor zwei Jahren wurde er ins Zürcher Stadtparlament gewählt. Dass er es geschafft hat, jetzt auch in den Nationalrat gewählt zu werden, empfindet er als deutliches Signal der Wählerinnen und Wähler. «Das Stimmvolk ist schon viel weiter als viele Funktionäre in den Parteien.» Sie wollten Menschen mit Behinderungen wählen, wenn sie ein entsprechendes Angebot bekommen. Und dieses Angebot hätten sie mit ihm.
Von ihm kommt «keine heisse Luft»
Seine Einschränkung sieht er deshalb nicht nur als Hindernis. Im Gegenteil: Dass er nicht gut sprechen kann, könne auch ein Vorteil sein im politischen Alltag, meint er. «Viele Politiker produzieren einfach viel heisse Luft. Ich kann das gar nicht, weil es mich viel Energie und Kraft kostet.»
Im Bundeshaus hat der zweifache Vater ein grosses Ziel: «Ich möchte eine inklusive Gesellschaft ermöglichen.» Das sei keine Ein-Themen-Politik, meint er. Inklusion betreffe alle Politikfelder. Ansetzen will er zum Beispiel bei der Invalidenversicherung. Die möchte er wieder ausbauen: «Sie war eine unterstützende Hand für uns Menschen mit Behinderungen. Wegen der Sparmassnahmen ist sie zum Gegenteil geworden.»
Die IV war eine unterstützende Hand. Jetzt ist sie zum Gegenteil geworden.
Wie schwierig es ist, Unterstützung zu erhalten, kennt er aus eigener Erfahrung. So kämpft er zum Beispiel für einen fairen Lohn für seine Assistentin: «Die Arbeitsbelastung geht nicht mit der Entlöhnung einher.» Seine Assistentinnen könnten sich deshalb den Job längerfristig nicht leisten.
Seinen Kampf will er jetzt für alle Menschen mit einer Behinderung führen. Als Vorbild und Vorkämpfer.