Ein einziges Wahlcouvert wiegt fast ein halbes Kilo: Die eidgenössischen Wahlen sorgen landauf, landab für eine Papierflut in den Haushalten.
Derzeit verpacken beispielsweise in Madiswil (BE) 60 Menschen mit Behinderungen, Schülerinnen und Rentner die Wahllisten und das Werbematerial der Parteien für den Wahlkreis Oberaargau. 25 Tonnen Papier landen fein säuberlich sortiert in total 57'797 Couverts. Diese flattern ab Ende September in die Briefkästen der Stimmberechtigten.
Ansturm auf Nationalrat sorgt für Papierflut
Dann müssen sich Stimmbürgerinnen und Stimmbürger im Oberaargau durch 411 Gramm Parteienwerbematerial und Wahllisten kämpfen. Zur rekordverdächtigen Papierflut kommt es, weil im Kanton Bern so viele Leute wie noch nie für den Nationalrat kandidieren. Und Parteien vermehrt mit Unterlisten – sie heissen etwa «Best Agers» oder «Queer & Allies» – auf Stimmenfang gehen.
Man muss aufpassen, dass die schiere Masse an Wahlmaterial gewisse Leute nicht abschreckt.
Entsprechend dicker wird das Wahlcouvert. «Man muss aufpassen, dass die schiere Masse an Wahlmaterial gewisse Leute nicht davon abschreckt, an den Wahlen teilzunehmen», sagt Staatsrecht-Professor Andreas Glaser, der am Zentrum für Demokratie Aarau und an der Uni Zürich forscht.
Kanton Aargau druckt Wahlmaterial auf dünneres Papier
Nicht nur im Kanton Bern, sondern auch im Aargau platzen die Wahlcouverts aus allen Nähten. Der Aargau hat reagiert: Der Kanton druckt die Wahllisten auf dünneres Papier, damit kein zweites Couvert notwendig ist.
Der Kanton Bern hat das Gewicht der Parteiflyer auf 30 Gramm pro Couvert beschränkt. So ist es zumindest im Wahlkreis Oberaargau gelungen, dass das Material mit einem Couvert verschickt werden kann. Und nicht zwei Briefe nötig sind, wie zuerst befürchtet wurde.
Wegen der vielen Unterlisten und der vielen Parteiflyer sei es möglich, dass die Wählerinnen und Wähler die Übersicht verlieren, meint Demokratie-Experte Glaser. «Es kann die Leute überfordern, sie müssen womöglich zu viel Energie aufwenden, um den Wahlzettel auszufüllen.»
In Bern werden Wahllisten und Parteiflyer zusammen auch dieses Jahr also in einem Couvert verschickt, dies etwa im Gegensatz zum Kanton Zürich.
Aber macht es überhaupt noch Sinn, den Leuten so viele Informationen in Papierform zuzustellen? Einerseits verlange dies das Wahlsystem, sagt Glaser. Schliesslich müsse man das «Ideal der Gleichbehandlung aller Kandidierenden» und die Informationskapazität der Leute gegeneinander abwägen. Früher seien die Wahlunterlagen eine wichtige Informationsquelle gewesen und damit ein zentrales Instrument für die Parteien.
Werbematerial landet im Papierkorb
Heute könnten sich die Leute im Internet und auf weiteren Kanälen informieren. «Die Mehrheit wirft die Wahlflyer wahrscheinlich ohnehin ungelesen in den Papierkorb», so Glaser. Denn bekanntlich liege die Wahlbeteiligung oft unter 50 Prozent.
So oder so bleibt in Madiswil noch viel zu tun. Bis am 21. September verpacken die Freiwilligen das Wahlmaterial. «So kann ich etwas für die Allgemeinheit tun und mit ganz unterschiedlichen Leuten zusammenarbeiten», sagt eine Pensionärin über ihre Motivation. Insofern hat die Papierflut für die Wahlen im Herbst also durchaus noch eine positive Seite.