Weder Rechts noch Links haben in der kleinen Kammer nun eine klare Mehrheit inne. Entsprechend wird die Mitte in der kommenden Legislatur zum Zünglein an der Waage. Mittelfristig können die neuen Kräfte verstärkt mitreden, wie Politologe Lukas Golder erklärt. «Besonders in den drängenden Themen, wie der Gesundheits- oder Europapolitik, könnten im Ständerat neue Koalitionen möglich werden.» Die Online-Wahlhilfe Smartvote hat untersucht, wie nach den Wahlen die Mehrheitsverhältnisse für konkrete Geschäfte im Ständerat sind.
EU-Politik
Die Schweiz bemüht sich derzeit um neue Verhandlungen mit der EU. Eine Annäherung an Europa ist mit dem frisch gewählten Ständerat durchaus mehrheitsfähig. Gemäss Auswertung wünschen sich 80 Prozent der Ständerätinnen und Ständeräte engeren Beziehungen zur EU.
Das sei ein sehr deutlicher Wert, sagt Michael Erne, Projektleiter bei Smartvote. «Nur einzelne Ständeräte aus der Mitte und der SVP sind dagegen. Der Ständerat ist verglichen mit 2019 in aussenpolitischen Fragen offener und liberaler geworden und könnte in diesem Dossier in den kommenden vier Jahren die treibende Kraft sein.» Das zeigt sich auch im klaren Nein von 91 Prozent in der Frage, ob die Schweiz die bilateralen Verträge mit der EU kündigen solle.
Krankenkassenprämien
Vor zwei Monaten liess Gesundheitsminister Alain Berset die Bombe platzen: Um satte 8.7 Prozent steigen die Krankenkassenprämien im kommenden Jahr. Es ist der grösste Anstieg seit 2010 und dürfte viele Haushaltsbudgets stark belasten. Entsprechend erstaunt es wenig, dass die Forderung nach mehr Prämienverbilligung in beiden Kammern mehrheitsfähig ist. Im neuen Ständerat beantworten 56 Prozent der Parlamentarierinnen und Parlamentarier die Frage, ob der Staat mehr Mittel für die Krankenkassenprämienverbilligung zur Verfügung stellen soll, mit Ja. Demgegenüber lehnen 58 Prozent der Befragten den Vorschlag ab, dass sich die Versicherten stärker an den Gesundheitskosten beteiligen sollen.
Umweltschutz
Vor vier Jahren sprach die Schweiz von einer Klimawahl, Umweltthemen gerieten in den Fokus. Nach dem starken Verlust der Grünen und der GLP bei den bisherigen Wahlen zeigt sich nebst dem Nationalrat auch im Ständerat eine veränderte Priorisierung der Klimafrage. Das Thema Umweltschutz werde von vielen Ständerätinnen und Ständeräten als weniger wichtig erachtet, sagt Smartvote-Projektleiter Michael Erne. «Der Sitzverlust der Grünen zeigt sich hier auch in der inhaltlichen Ausrichtung des Ständerats.» Die Zustimmung zu Umweltschutz gehe zurück und Verbote würden vermehrt kritisch aufgefasst.
Anreize statt Verbote seien zielführender, urteilen 71 Prozent der Befragten. Die Frage, ob die Schweiz die Neuzulassung von Personenwagen mit Verbrennungsmotoren ab 2035 verbieten solle, beantworteten 71 Prozent der Ständeräte mit Nein, 69 Prozent wünschen sich einen Ausbau der stark befahrenen Autobahnabschnitte.
Höheres Rentenalter
Die Gesellschaft wird immer älter und die Lücken im Vorsorgesystem sind durch die im vergangenen Herbst angenommene AHV-Reform noch nicht gestopft. Eine Initiative der Jungfreisinnigen will daher das Rentenalter für Männer und Frauen weiter erhöhen. Diese Idee sei weder im Stände- noch im Nationalrat mehrheitsfähig, so Michael Erne von Smartvote. «Es gibt eine Zweidrittelmehrheit, die dazu Nein sagt. Neben der FDP, die geschlossen dafür ist, sind nur einzelne Parlamentarier aus SVP und Mitte plus auch die GLP dafür. Das reicht in keiner Kammer für eine Mehrheit.»
Mitarbeit: Mirjam Spreiter / Rafael von Matt