Es war Winter im Jahr 1941, als die 19-jährige Olga K. eine Stelle als Serviceangestellte antrat – im Restaurant Burg in Attinghausen. Was sie da erlebte, war ihr so zuwider, dass sie schon nach zwei Tagen wieder abreiste.
In fast jedem Zimmer des Gasthauses sei ein «Bildnis des deutschen Reichskanzlers Adolf Hitler» gehangen, gab sie später zu Protokoll. Am Abend habe sich im Restaurant jeweils eine Gruppe von 12 bis 14 Personen getroffen, welche die Wirtin mit «Heil Hitler» begrüsste.
Eine verschwiegene Geschichte
Die Gruppe bestand vorwiegend aus Arbeitern der damaligen Munitionsfabrik in Altdorf. Es waren bekennende Nationalsozialisten, die den Einmarsch Deutschlands herbeisehnten und die Machtübernahme im Kanton Uri vorbereiteten. Der Sohn des Burgwirtenpaars, Hans Imholz, führte die Gruppe an. Er sollte von einem Militärgericht später zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt werden – wegen Landesverrats.
Die Geschichte der Nazis aus der Munitionsfabrik geisterte nach dem Zweiten Weltkrieg weiter durch den Kanton. Lange wusste niemand so genau, was sich tatsächlich abgespielt hatte. Der Journalist und Historiker Reto Gamma nahm sich des Themas an und schrieb ein Buch darüber. Unter dem Titel «Die Nazis vom Schächenwald» ist es nun erschienen.
Schwinger gegen Nazis
Zum ersten Mal sei er in den 1960er-Jahren mit dem Thema konfrontiert worden, sagt Gamma, der in Göschenen aufwuchs. «Meine Eltern verboten mir, im Restaurant Burg essen zu gehen. Der Wirt sei ein Nazi, hiess es.» Mehr hätten sie ihm nicht verraten. Nach der Pension ging Gamma der Geschichte auf den Grund. «Im Bundesarchiv bin ich auf Hunderte Seiten gestossen.» Der Prozess des Militärgerichts gegen die Urner Nazis sei minutiös protokolliert worden.
Schweizer, die sich als Nazis bezeichneten, waren für einen grossen Teil der Schweizer Bürger zur Zeit des Zweiten Weltkriegs eine Provokation sondergleichen. Nazideutschland war schliesslich der Feind, der das eigene Land umzingelte. So empörten sich auch viele Urnerinnen und Urner ob der Nazis im eigenen Kanton.
Wiederholt kam es zu Scharmützeln. Unter anderem ist eine Schlägerei zwischen einer Gruppe von Schwingern und den Urner Nazis protokolliert. In einer Beiz kam es zum Faustkampf, Stühle gingen zu Bruch. Weiter sei die Stimmung auch in der Munitionsfabrik aufgeladen gewesen, da viele der Arbeiter Sozialdemokraten waren. «Es herrschte eine grosse Angespanntheit zwischen der kleinen Gruppe Nazis und dem grossen Rest der Belegschaft», so Gamma. Immer wieder kam es zu Auseinandersetzungen und Handgreiflichkeiten.
Vom Nazi zum Güggelikönig
Auch die offizielle Schweiz goutierte das Treiben der Urner Nazis nicht. Im Sommer 1941 rückte die Urner Polizei zu Hausdurchsuchungen aus. Unter anderem fand sie dabei eine Skizze der Altdorfer Munitionsfabrik, angefertigt von Hans Imholz, bestimmt für Nazideutschland. Für diese «Verletzung militärischer Geheimnisse» wurde Imholz 1942 wegen Landesverrats verurteilt. Der Todesstrafe entkam er nur knapp. Er musste ins Gefängnis.
Nach knapp 10 Jahren wurde Imholz bedingt entlassen. Er übernahm in Attinghausen das Gasthaus seiner Eltern und führte es zu nationaler Bekanntheit – für die Poulet im Chörbli mit Haussauce reisten die Gäste von weit her an. Viele Urner Familien jedoch mieden das Lokal, weil der Wirt «ein Nazi ist», wie Reto Gammas Eltern ihm einschworen. Imholz starb im August 1984.