Die Welt steht kopf, und die Schweiz ringt um eine Position. Der Sicherheitsexperte Daniel Möckli plädiert im Tagesgespräch für strategischen Wandel und Taten.
SRF: Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter sagte am Freitag, der Bundesrat nehme die geopolitische Lage ernst, die Aussenpolitik habe sich aber nicht verändert. Kann man sagen, die Welt ist in rasanter Bewegung, aber für die Schweiz bleibt alles beim Alten?
Daniel Möckli: Die Schweiz hat sich in den letzten Jahren tatsächlich weniger auf die Zeitwende ausgerichtet als andere Staaten. Das ist systembedingt: Eine Vier-Parteien-Regierung kann sich nicht sofort strategisch neu positionieren, das braucht Zeit. Es geht nun auch nicht darum, eine Empörungsdiplomatie gegenüber Washington zu führen. Die Schweiz sollte aber mit Taten reagieren, die klare Signale sind.
Wir müssen unsere eigene Verteidigungsfähigkeit stärken.
Welche Taten meinen Sie?
Schauen wir, wie Europa auf den welt- und europapolitischen Wandel reagiert: Da wurden Tabus gebrochen, es wird massiv aufgerüstet, Deutschland hat die Schuldenbremse stark relativiert. Man hat die üblichen Denkmuster verlassen und hat einen Sprung nach vorne gemacht, ohne die Amerikaner explizit zu kritisieren. Aber die Message ist klar: Wir müssen selbst für unsere Sicherheit sorgen. Solches Handeln ist zielführender als Empörung.
Hat sich die Bedrohungslage für die Schweiz verändert?
Ja, wir sind heute deutlich weniger geschützt als vorher. Auch wir haben uns, wenn wir ehrlich sind, auf die amerikanischen Schutzleistungen verlassen, wie die meisten Europäer. Aber momentan sind die USA kein zuverlässiger Partner für Europa, und das hat Konsequenzen.
Die wichtigsten Partner für die Schweiz sind die Europäer.
Hat die Schweiz darauf eine Antwort?
Bis jetzt nicht. Die Schweiz hat sich seit 2022 die Zeit genommen, die wichtige politische Diskussion in einer gewissen Ruhe zu führen, aber halt immer mit der Annahme, dass die USA Europa schützen. Daher wäre es jetzt schon wünschenswert, dass wir diese Debatte beschleunigen und über konkrete Massnahmen sprechen.
Was könnten das für Massnahmen sein?
Das geostrategische Umfeld spricht für eine pragmatische Handhabung der Neutralität. Die Schweiz könnte verstärkt an Nato-Übungen teilnehmen, oder man könnte das Kriegsmaterialgesetz an die heutigen Gegebenheiten anpassen. Das wäre ein Rettungsanker für die Schweizer Rüstungsindustrie. Denn Europa ist auf alle möglichen Kapazitäten angewiesen, das birgt Chancen für die Schweiz.
Wieso soll das die Schweiz sicherer machen, wenn Schweizer Waffen plötzlich in Konflikten auftauchen?
Das ist natürlich verkürzt. Was uns sicherer macht, sind zwei Sachen: Wir müssen unsere eigene Verteidigungsfähigkeit stärken. Da sind wir dran, wenn auch eher gemächlich. Man wird sicher darüber diskutieren müssen, ob man wirklich im Rahmen der Schuldenbremse die erforderliche Sicherheit erreichen kann.
Und der zweite Punkt: Die Schweiz braucht zuverlässige Partner, um nicht zu sagen Freunde. Wir sind ein Land, das sich als «Global Switzerland» versteht, das mit der ganzen Welt Handel betreibt. Das finde ich auch richtig. Aber die Staaten im Globalen Süden, im Golf oder zum Beispiel Singapur, die werden uns nicht zu Hilfe kommen, wenn wir politisch unter Druck geraten. Die wichtigsten Partner für die Schweiz sind die Europäer. Es ist wichtig, dass wir uns als Teil dieser europäischen Schicksalsgemeinschaft verstehen und mit klaren Zeichen Vertrauen schaffen.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.