Es ist eine Aussage, die aufhorchen lässt. Christian Drosten, deutscher Virologe, sagte gegenüber der Berliner Tageszeitung «Tagesspiegel»: «Nach meiner Einschätzung ist die Pandemie vorbei.» Mit diesem Satz erklärt er seine Schlussfolgerung, wonach man derzeit die «erste endemische Welle» erleben würde.
Jan Fehr ist Professor am Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention an der Universität Zürich. Im Gespräch erklärt er, weshalb er vorsichtig ist, das Ende der Pandemie anzukündigen.
SRF News: Ist die Pandemie vorbei?
Jan Fehr: Solange es global ausgedehnte Gefahrenherde wie beispielsweise in China gibt, hüte ich mich davor, die Pandemie als beendet zu erklären. Dort zirkuliert das Virus stark und trifft auf Menschen mit unzureichendem Immunschutz – ein humanitäres Desaster.
Eine Pandemie ist ein Weltgeschehen – und Wuhan sozusagen ein Vorort von Zürich.
Eine hohe Ansteckungsrate bedeutet zudem, dass neue Varianten entstehen können, welche auch rasch bei uns sein können. Eine Pandemie ist ein Weltgeschehen – und Wuhan sozusagen ein Vorort von Zürich.
Besteht denn die Möglichkeit, dass aus China eine neue Variante nach Europa gelangt und Omikron als dominante Variante ablöst?
Mutationen und auch neue Varianten werden entstehen. Die entscheidende Frage ist jedoch, ob eine solche neue Variante unsere mittlerweile robuste Bevölkerungsimmunität unterlaufen kann oder nicht. Aus heutiger Warte beurteile ich das als wenig wahrscheinlich, aber nicht als ausgeschlossen.
Wie beurteilen Sie die Situation in China?
In China versucht man nun offenbar im Eilzugstempo direkt vom Lockdown-Zustand in die rigorose Öffnung zu kommen, mit dem Resultat, dass das Virus mit voller Wucht auf eine Bevölkerung mit nur unzureichender Immunität prallt. Der Aufbau eines soliden Immunschutzes in der Bevölkerung braucht aber Zeit. Der Weg mit wohldosierter, schrittweiser Lockerung der Massnahmen dauerte bei uns rund zwei Jahre. Man kann sich ein Sicherheitsnetz vorstellen, das so immer enger verflochten wird.
Dann wäre auch die endemische Phase möglich.
Genau. Wichtig ist hier vielleicht auch, mit einem Missverständnis aufzuräumen. Endemisch bedeutet nicht, dass das Virus generell harmlos ist, sondern, dass es auf Bevölkerungsebene keinen grösseren Schaden mehr anrichtet, weil ein weitreichender Immunschutz vorhanden ist. In der Endemie hat sich das Ökosystem – bei Corona wäre dies der Mensch – mit dem Virus arrangiert.
Malaria ist auch eine endemische Krankheit, aber immer noch tödlich.
Als kleines Beispiel: Malaria ist auch eine endemische Krankheit, aber immer noch tödlich – insbesondere für die vulnerable Gruppe, welche in diesem Fall Kleinkinder sind. Ansteckungen kommen in der Endemie also weiterhin vor, schwere Erkrankungen oder sogar Todesfälle aber viel seltener.
Corona ist ja nicht die einzige Krankheit, welche das Gesundheitssystem belastet.
Richtig, und das müssen wir uns vergegenwärtigen. Haben wir vor einem Jahr noch Masken getragen, sind es diesen Winter Influenza oder das RS-Virus, welche uns zu schaffen machen. Je nach Situation kann deshalb das Maskentragen auch jetzt noch sinnvoll sein. Aber auch hier müssen wir Augenmass bewahren, sodass wir zu einer Normalisierung mit breitem Immunschutz kommen.
Zudem gilt es immer mehrere Faktoren in der Gleichung zu berücksichtigen: psychologische und gesellschaftliche Faktoren – und nicht nur ein Infektionsgeschehen. Dieses Gesamtbild müssen wir stets im Blick behalten. Und klammern wir die zweite Welle aus, haben wir in der Schweiz einen guten Mittelweg gefunden, den es fortzuführen gilt.
Das Gespräch führte Pascal Studer.