«Grundsätzlich darf man so was schon. In der Praxis kommt es darauf an, wo sich der Lebensmittelpunkt der Person befindet.» Olivier Weber kennt sich aus mit Steuern. Er ist nicht nur Steuerexperte, sondern Präsident der Schweizerischen Vereinigung Diplomierter Steuerexperten (SVDS).
Weber äussert sich auf Anfrage von SRF zum Fall Dittli, der in der Romandie teilweise auf Kritik stösst: Die 30-Jährige lebt seit 2016 in Lausanne, wo sie studiert, doktoriert und sich politisch engagiert hat. Den Hauptwohnsitz und damit auch den Steuerwohnsitz behielt sie aber laut Recherchen des Westschweizer Fernsehens RTS bis vor kurzem in Oberärgeri ZG, wo ihre Eltern lebten – und zahlte als Waadtländer Finanzdirektion bisher keine Steuern im Waadt.
«Im Fall von Valérie Dittli kann ich nachvollziehen, dass sie sich weiterhin in Oberägeri daheim gefühlt hat, weil das gemäss ihren Aussagen das Zentrum ihrer Lebensinteressen war», erklärt Steuerexperte Weber seine Einschätzung.
Verständnis und Kritik
Was Dittli passiert sei, passiere anderen auch, so Olivier Weber: Häufig verpasse man den Moment, an dem man eigentlich sagen sollte, dass man den Hauptwohn- und damit auch den Steuerwohnsitz wechseln sollte, weil man sich beruflich woanders engagiert. Verwurzelt fühle man sich aber noch immer dort, wo man früher war. Ähnlich formulierte es Fabien Liégeois, Genfer Anwalt für Finanzrecht, in einem RTS-Interview: «Als junge Person will man häufig nahe sein bei den Eltern, man will Kollegen sehen und am Wochenende heimkommen.»
Aurélien Barakat, ein weiterer Steuerexperte, der bei RTS zu Wort kommt, ist etwas kritischer: Der Arbeitsort sei normalerweise ein überwiegendes Argument, um dort den Steuerwohnsitz zu haben.
Dass die heutige Waadtländer Finanzdirektorin damals im steuergünstigeren Kanton Zug blieb, um Steuern zu optimieren, glaubt Steuerexperte Olivier Weber übrigens nicht. «Die Steuerdifferenz bei einer Studentin mit Assistentinnenstelle ist fiskalisch irrelevant.» Er gehe nicht davon aus, dass bei der damals unter 30-Jährigen die finanzielle Frage im Vordergrund stand oder dass Dittli eine aktive Steuerplanung gemacht habe. Hingegen macht er ein Fragezeichen bei einem anderen Punkt.
Hin und her zwischen Lausanne und Oberägeri
Bevor Dittli Regierungsrätin wurde, kandidierte sie schon einmal für ein politisches Amt: 2021 will sie ins Stadtparlament von Lausanne gewählt werden und verlegt dafür ihren Hauptwohnsitz dorthin – jedoch nur vorübergehend. Nachdem sie nicht gewählt wird, verlegt sie den Sitz wieder nach Oberägeri. Dazu Olivier Weber: «Wenn ich mich wählen lassen will, dann sollte ich auch verbunden sein mit dem Ort – und nicht andernorts stärker verbunden sein.» Es sei eine politische Frage, wie man damit umgehen wolle. Er persönlich finde das etwas unschön.
Deutlich weiter gehen die Waadtländer Jungsozialen: Sie verlangen Dittlis Rücktritt. Bürgerliche Politiker wie der Waadtländer FDP-Präsident Marc-Olivier Buffat hingegen verteidigen gemäss Medienberichten die Mitte-Politikerin.
Zum Fall hat Staatsrätin Dittli gegenüber SRF keine Stellung genommen. Laut Medienberichten will sie den Fall nun extern überprüfen lassen, um Transparenz zu schaffen.