«Wohnen bedeutet mir viel», sagt Kevin Rechsteiner. «Aber ich brauche die Fläche nicht.» In seinem 20 Quadratmeter-Haus fehlt es darum nicht an Komfort und nicht an Qualität: Der Boden ist aus Eichenholz, für die Küchenablage, die Fenster und die Möbel hat er hochwertige Materialien gewählt.
Auch ökologische Aspekte sind ihm wichtig geworden – aber erst im Verlaufe der Zeit. Denn anfänglich, sagt Rechsteiner, habe er keine besonderen Anliegen gehabt. «Ausser kleiner wohnen.»
Auf den Geschmack gekommen ist er auf einer Reise durch die USA im VW-Bus. Zurück in der Schweiz, empfand er die 180 Quadratmeter grosse Loft-Wohnung als viel zu gross, als Turnhalle. Auf der Suche nach neuen Wohnformen hat er sich einen alten Zirkuswagen gekauft und diesen umgebaut. Seine Arbeit hat er auf Youtube und auf einem Blog dokumentiert. Seither gilt er als eines der Aushängeschilder der Tiny-House-Bewegung.
Ganz normale Leute
Die Bewegung hat viele Gesichter. «Die Motive für ein Tiny House sind sehr unterschiedlich», sagt Rechsteiner. Nachhaltigkeit und Ökologie sind vielen ein Anliegen. «Hauptsächlich geht es aber um das Sparen», sagt Rechsteiner.
Die meisten sind ganz normale Leute, die weniger Geld fürs Wohnen ausgeben wollen.
Tiny-House-Interessenten seien weder Öko-Freaks noch Aussteiger oder Hippies. «Die meisten sind ganz normale Leute, die weniger Geld fürs Wohnen ausgeben wollen», sagt er. Auch andere Experten und Expertinnen, die sich mit Motiven der Tiny-House-Bewegung auseinandergesetzt haben, sprechen von finanziellen Motiven. «Mietwohnungen sind wahnsinnig teuer geworden», so Rechsteiner.
Tatsächlich: In der Schweiz gibt man durchschnittlich 20 bis 25 Prozent der Ausgaben fürs Wohnen aus. «Im Verhältnis zum Einkommen sind es monatlich rund 15 Prozent des Einkommens», so Robert Weinert vom Immobillien-Beratungsbüro Wüst&Partner.
Die Tiny-House-Bewegung hat denn auch ihren Ursprung in den USA, als Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer während der Finanzkrise nach 2008 ihre Häuser verloren haben, weil sie die Hypothekarkredite nicht mehr zurückbezahlen konnten.
Gerade in Zeiten der Pandemie suchen viele nach anderen Lebensformen.
Hierzulande sei ein wachsendes Interesse festzustellen an Tiny Houses als Zweitwohnungs-Objekt oder als Büro. «Gerade in Zeiten der Pandemie suchen viele nach anderen Lebensformen», vermutet Rechsteiner.
Tiny Houses sind allerdings kein Synonym für Billig-Häuser. Die Anschaffungskosten variieren je nach Qualität. Kevin Rechsteiners hat beim Umbau seines eigenen Wagens ab Fr. 60'000 aufgehört, genau zu zählen.
«Meine Arbeitsstunden sind da noch nicht eingerechnet», sagt der IT-Unternehmer. Für seinen Standplatz hingegen bezahlt er nur 300 Franken pro Monat. Er steht auf dem Land eines benachbarten Bauern, dessen Werkstatt er mitbenützen darf.
Ein Tiny House in freier Natur hinzustellen wäre nicht erlaubt. Ist das Haus auf Land gebaut, braucht es entsprechende Baubewilligungen. Allerdings stehen grosse Landflächen und kleine Häuser im Widerspruch zu den raumplanerischen Anforderungen nach verdichtetem Bauen.
Kleinere Grundstücke hingegen sind schwer zu bekommen. Für mobile Häuser, also solche, die wie Rechsteiners Wagen, braucht es ebenfalls Bewilligungen und sie müssen diversen Vorschriften entsprechen. Tiny-House-Interessenten sprechen von einem Labyrinth und einem Hürdenlauf durch Gesetze und Vorschriften.
Abhilfe schaffen will der Verein «Kleinwohnformen Schweiz», in dem er sich als Anlaufstelle anbietet für Interessierte und Behörden. Rechsteiner hat den Verein mitbegründet, ist heute aber nicht mehr im Vorstand. Er hat aber Pläne für seine Region. «Mir schwebt in Zukunft eine Art Beratungsstelle vor». Er kann sich vorstellen, dass Tiny Houses ideal wären für die Zwischennutzungen auf Grundstücken, die während einer gewissen Zeit sowieso brach liegen.
Interdisziplinäre Forschung
Durch den Dschungel der Vorschriften helfen könnte dereinst auch eine Forschungsarbeit der Hochschule Luzern. Ein interdisziplinäres Team aus Architektinnen, Fachleute der soziokulturellen Entwicklung, Innovation und Technologiemanagement klären gemeinsam vielfältige Fragen, die das Kleinwohnen betreffen.
Das Projekt schafft die Grundlage, damit sogenannten Kleinwohnformen nachhaltig finanziert, geplant, entwickelt, umgesetzt, betrieben und bewohnt werden können.