Laut Schätzungen des Bundes leben schweizweit bis zu 99'000 Sans-Papiers: Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung. Als erste Stadt der Schweiz will Zürich ihre Situation mit einem Ausweis verbessern. Die «Züri City Card» soll Identität und Wohnsitz der Stadtzürcher bestätigen. Auch Papierlose können sie nutzen. So würden Illegale nicht in ständiger Angst leben, erklärt Bea Schwager von der Stadtzürcher Anlaufstelle für Sans-Papiers.
SRF News: In der Stadt Zürich leben ungefähr 10'000 Sans-Papiers. In welcher Situation befinden sie sich?
Bea Schwager: Es ist erstmals wichtig zu betonen, dass die allermeisten Sans-Papiers arbeiten. Weil sie keine staatlichen Gelder wie Sozialhilfe beziehen können, sind sie auf ihre Arbeit angewiesen. Aus diesem Grund sind sie in der Schweiz. Eine ältere Studie besagt, dass die Zahl der Arbeitsplätze reguliert, wie viele Sans-Papiers in der Schweiz sind. Denn ohne Arbeitsstelle verlassen sie das Land.
Menschen ohne Papiere arbeiten und verhalten sich möglichst unauffällig. Sie führen also ein verstecktes Leben in Zürich?
Notgedrungen führen sie ein verstecktes Leben. Sans-Papiers achten genaustens darauf, nicht aufzufallen und nicht etwa die Strasse bei roter Ampel zu überqueren. Sie leben sehr angepasst. Den Aufenthalt im öffentlichen Raum reduzieren sie meist auf ein Minimum, halten sich zu Hause und am Arbeitsplatz auf.
Sans-Papiers achten genaustens darauf, nicht aufzufallen.
Geht man von 10'000 Sans-Papiers in Zürich aus, sind das sehr viele: Es betrifft etwa jede 30. Person in der Stadt. Ich nutze gerne das Bild eines Trams oder eines Busses: Bei jeder Fahrt sind vier bis fünf Sans-Papiers dabei. Wir alle begegnen täglich mehreren Sans-Papiers, die mitten unter uns, aber doch im Verborgenen leben.
Jetzt soll die städtische ID für alle Zürcherinnen und Zürcher auch das Leben der Papierlosen erleichtern. Warum braucht es diese «City Card»?
Sie ist in erster Linie nötig, um diskriminierungsfrei Zugang zu den städtischen Dienstleistungen zu schaffen. Denkbar wäre die «City Card» auch für private Dienstleistungen in der Stadt. Wir hoffen auch darauf, dass Sans-Papiers damit ein Bankkonto eröffnen können. Jetzt müssen sie das Bargeld immer am Körper tragen oder unter der Matratze verstecken, was sie für Raub anfällig macht.
Ganz wichtig ist für uns, dass sich die Sans-Papiers mit der «City Card» gegenüber der Polizei ausweisen können. So leben sie nicht mehr in ständiger Angst, auf der Strasse in eine Kontrolle zu geraten, verhaftet und ausgeschafft zu werden.
Dazu müsste allerdings ein Grossteil der Stadtzürcher einen solchen Ausweis nutzen. Sonst wüsste die Polizei automatisch, dass es sich um einen Sans-Papiers handelt.
Genau, die Idee steht und fällt damit, dass möglichst alle Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt Zürich eine «City Card» besitzen, sich damit im Alltag ausweisen und sich gegenüber den Sans-Papiers solidarisch zeigen. Wir erhoffen uns als zusätzlichen Mehrwert eine Art solidarisches Stadtgefühl.
Kritiker warnen, der Ausweis animiere andere Sans-Papiers, in die Schweiz zu kommen – nach dem Motto: dank der «City Card» kannst du hier auch als Illegaler bequem leben. Was sagen Sie dazu?
Das sehe ich anders. Sans-Papiers sind darauf angewiesen, dass sie arbeiten können. Es sind also die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die bestimmen, wie viele Sans-Papiers sich hier befinden.
Das Gespräch führte Vera Deragisch.