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Zum Tod von Christiane Brunner Ruth Dreifuss: «Sie hat Frauen Mut gemacht, sich zu engagieren»

Christiane Brunner war eine zentrale Figur der Schweizer Frauenbewegung. 1993 verweigerte ihr die Vereinigte Bundesversammlung die Wahl in den Bundesrat und wählte stattdessen Ruth Dreifuss zur ersten SP-Bundesrätin. Dreifuss, die langjährige Weggefährtin von Brunner, blickt zurück – auf gemeinsame Kämpfe, prägende Jahre und persönliche Erinnerungen.

Ruth Dreifuss

Alt Bundesrätin

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Ruth Dreifuss (geb. 1940, SP/GE) wurde 1993 als zweite Frau nach Elisabeth Kopp († 2023) in den Bundesrat und 1999 zur ersten Bundespräsidentin der Schweiz gewählt. Sie übernahm das Eidgenössische Departement des Innern und behielt dieses bis zu ihrem Rücktritt 2002. Sie setzte unter anderem bei der 10. AHV-Revision entscheidende Akzente für die Gleichberechtigung der Frauen.

RSI News: Frau Dreifuss, Sie kennen Christiane Brunner seit vielen Jahren. Was war Ihre erste Erinnerung an sie?

Ruth Dreifuss: Es war während einer Kampagne zur Elternzeit – Ende der 1970er-Jahre, glaube ich. Dort begann unsere Zusammenarbeit. Später verband uns ein gemeinsamer Weg in den Gewerkschaften. Und natürlich war da dieser dramatische Moment 1993, als Christiane Brunner nicht in den Bundesrat gewählt wurde – und ich stattdessen nachrückte. Trotzdem: Unsere Freundschaft und politische Zusammenarbeit blieben eng. Zehn Jahre lang waren wir Seite an Seite – sie im Parlament, ich im Bundesrat.

Baume-Schneider zum Tod von Christiane Brunner

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Elisabeth-Baume Schneider.
Legende: Elisabeth-Baume Schneider: «Danke und Hut ab, Kameradin.» Keystone/JEAN-CHRISTOPHE BOTT

Die aktuelle SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider hat sich auf den sozialen Medien sehr gefühlvoll über den Tod von Brunner geäussert. Sie schreibt:

«Das Wetter ist grau und die Emotionen sind von Traurigkeit, Dankbarkeit und Hoffnung geprägt. Christiane Brunner, eine Politikerin mit Überzeugungen, Pionierin im Kampf in feministischen und gewerkschaftlichen Kämpfen und Widerständen. Christiane Brunner, eine Frau, schillernd, authentisch, intelligent, strategisch, integer und inspirierend. Eine rauchige Stimme, ein echtes Lachen. Der Wunsch, Werte und Realitäten zu teilen und zu vermitteln. Danke und Hut ab, Kameradin. An ihre Söhne und ihre Familie übermittle ich meine aufrichtigen Gefühle des Mitgefühls.»

Der 3. März 1993 ging in die Geschichte ein. Christiane Brunner wurde nicht in den Bundesrat gewählt. Wie hat sie diesen Moment verarbeitet?

Ich glaube, sie empfand beides – Bitterkeit und Entschlossenheit. Sie war bereit, Verantwortung zu übernehmen. Sie hätte das Amt mit Würde und Kompetenz ausgefüllt. Aber die bürgerlichen Parteien spielten ein perfides Spiel. Trotzdem kämpfte sie weiter – als Ständerätin und als Stimme der Frauenbewegung. Der Vorfall hat eine unglaubliche Kraft ausgelöst: Frauen aus dem ganzen Land solidarisierten sich. Und das bleibt.

Feminismus war für sie nicht nur Gesetzesarbeit, sondern auch gelebte Praxis.
Autor: Ruth Dreifuss

Christiane Brunner war eine zentrale Figur beim ersten feministischen Streik 1991. Wie erinnern Sie sich an diese Zeit?

Es war wirklich ihre Initiative. Das Symbol mit der pinken Sonne – das kam von ihr. Sie war kreativ, visionär. Sie wusste, wie man Menschen mitreisst. Und sie hat den politischen Diskurs geprägt: Feminismus war für sie nicht nur Gesetzesarbeit, sondern auch gelebte Praxis.

Sie hat Frauen Mut gemacht, politische Verantwortung zu übernehmen.
Autor: Ruth Dreifuss

Welche Spuren hat sie in der Politik hinterlassen?

Viele. Denken Sie an die AHV-Reform – dort setzte sie sich unermüdlich für die Rechte der Frauen ein. Sie war Sozialpolitikerin mit Herzblut, tief verankert in der Realität der Menschen. Aber ebenso wichtig war ihr das Empowerment: Sie unterstützte gezielt Frauen in der Gewerkschaftsarbeit und ermutigte sie, politische Verantwortung zu übernehmen.

Ruth Dreifuss klatscht bei einer Veranstaltung mit Regenbogenflaggen im Hintergrund.
Legende: Alt Bundesrätin Ruth Dreifuss war einst die erste Bundespräsidentin der Schweiz. Keystone/Julien Grindat

Gibt es eine persönliche Erinnerung, die Ihnen besonders geblieben ist?

Ja, unsere gemeinsame Reise nach Haiti. Sie wollte den globalen Süden mit eigenen Augen sehen. Wir reisten mit ihrem Sohn dorthin – eine intensive Zeit voller Hoffnung. Damals war Haiti im Umbruch. Diese Reise hat uns beide tief geprägt.

Das Gespräch führte Giuseppe Bucci (RSI)

SRF News, 18.04.2025, 10:00 Uhr ; 

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