Christiane Brunner war eine zentrale Figur der Schweizer Frauenbewegung. 1993 verweigerte ihr die Vereinigte Bundesversammlung die Wahl in den Bundesrat und wählte stattdessen Ruth Dreifuss zur ersten SP-Bundesrätin. Dreifuss, die langjährige Weggefährtin von Brunner, blickt zurück – auf gemeinsame Kämpfe, prägende Jahre und persönliche Erinnerungen.
RSI News: Frau Dreifuss, Sie kennen Christiane Brunner seit vielen Jahren. Was war Ihre erste Erinnerung an sie?
Ruth Dreifuss: Es war während einer Kampagne zur Elternzeit – Ende der 1970er-Jahre, glaube ich. Dort begann unsere Zusammenarbeit. Später verband uns ein gemeinsamer Weg in den Gewerkschaften. Und natürlich war da dieser dramatische Moment 1993, als Christiane Brunner nicht in den Bundesrat gewählt wurde – und ich stattdessen nachrückte. Trotzdem: Unsere Freundschaft und politische Zusammenarbeit blieben eng. Zehn Jahre lang waren wir Seite an Seite – sie im Parlament, ich im Bundesrat.
Der 3. März 1993 ging in die Geschichte ein. Christiane Brunner wurde nicht in den Bundesrat gewählt. Wie hat sie diesen Moment verarbeitet?
Ich glaube, sie empfand beides – Bitterkeit und Entschlossenheit. Sie war bereit, Verantwortung zu übernehmen. Sie hätte das Amt mit Würde und Kompetenz ausgefüllt. Aber die bürgerlichen Parteien spielten ein perfides Spiel. Trotzdem kämpfte sie weiter – als Ständerätin und als Stimme der Frauenbewegung. Der Vorfall hat eine unglaubliche Kraft ausgelöst: Frauen aus dem ganzen Land solidarisierten sich. Und das bleibt.
Feminismus war für sie nicht nur Gesetzesarbeit, sondern auch gelebte Praxis.
Christiane Brunner war eine zentrale Figur beim ersten feministischen Streik 1991. Wie erinnern Sie sich an diese Zeit?
Es war wirklich ihre Initiative. Das Symbol mit der pinken Sonne – das kam von ihr. Sie war kreativ, visionär. Sie wusste, wie man Menschen mitreisst. Und sie hat den politischen Diskurs geprägt: Feminismus war für sie nicht nur Gesetzesarbeit, sondern auch gelebte Praxis.
Sie hat Frauen Mut gemacht, politische Verantwortung zu übernehmen.
Welche Spuren hat sie in der Politik hinterlassen?
Viele. Denken Sie an die AHV-Reform – dort setzte sie sich unermüdlich für die Rechte der Frauen ein. Sie war Sozialpolitikerin mit Herzblut, tief verankert in der Realität der Menschen. Aber ebenso wichtig war ihr das Empowerment: Sie unterstützte gezielt Frauen in der Gewerkschaftsarbeit und ermutigte sie, politische Verantwortung zu übernehmen.
Gibt es eine persönliche Erinnerung, die Ihnen besonders geblieben ist?
Ja, unsere gemeinsame Reise nach Haiti. Sie wollte den globalen Süden mit eigenen Augen sehen. Wir reisten mit ihrem Sohn dorthin – eine intensive Zeit voller Hoffnung. Damals war Haiti im Umbruch. Diese Reise hat uns beide tief geprägt.
Das Gespräch führte Giuseppe Bucci (RSI)