Einmal mehr verpasst die Credit Suisse eine Chance. Eine Chance, mit der Vergangenheit aufzuräumen und unbeschwerter in die Zukunft zu schreiten. Stattdessen schleppt die einst angesehene Schweizer Grossbank Altlasten von Jahr zu Jahr. Und von Generalversammlung zu Generalversammlung – und bekommt dafür heute prompt eine Ohrfeige verpasst.
Die Grossbank hat die GV wegen der Pandemie drei Mal in Folge virtuell abgehalten. Und damit ist ein reinigendes Gewitter mit den Kleinaktionären erneut ausgeblieben. Die kritischen Voten werden vorgelesen und kollektiv beantwortet. Der direkte Austausch zwischen der Spitze und den Anlegern fehlt – und der Versuch einer richtigen Konfliktbewältigung wohl auch. Die wäre allerdings dringend nötig. Vor allem für die Credit Suisse.
Ein Akt mit Symbolcharakter
Und so kann sich die Credit Suisse auch an der diesjährigen GV nicht von ihren Altlasten losreissen, im Gegenteil. Das Aktionariat verweigert die Décharge, die Entlastung der CS-Spitze, fürs skandalgetrübte Jahr 2020. Seine Quittung für die nicht abreissenden Negativschlagzeilen seit geraumer Zeit.
Dass eine Décharge nicht erteilt wird, ist eine Seltenheit auf dem Schweizer Finanzplatz. Im Prinzip sind nun Schadenersatzforderungen möglich. Doch oft hat dieser Akt eines Misstrauensvotums vor allem Symbolcharakter. Der neu gewählte Verwaltungsratspräsident, Axel Lehmann, nimmt die Ablehnung mit Bedauern zur Kenntnis, wie er sagt. Eine Altlast hallt also in einem weiteren Geschäftsjahr nach. Womit neuer Zündstoff entsteht, der wieder nicht vor Ort ausdiskutiert werden kann.
Folklore als Chance
Stattdessen kam es am Mittwoch zu einem Sesselrücken an der Spitze. In der Hoffnung, mit frischem Wind die Aktionärinnen und Aktionäre von einer besseren Zukunft zu überzeugen. Tatsächlich wird Axel Lehmann mit 95 Prozent klar ins Amt gewählt. Doch die Vergangenheit zeigt: Eine neue Spitze ist nicht automatisch ein Erfolgsrezept.
So werden die CS-Anlegerinnen und -Anleger die Spitze weiterhin ganz genau im Auge behalten. Rein virtuelle Anlässe sind nächstes Jahr zwar nach dem neuen Aktiengesetz erlaubt. Doch die Credit Suisse sollte sich dringend den kritischen Stimmen persönlich stellen und eine Auseinandersetzung in Kauf nehmen. Die Auseinandersetzungen an Generalversammlung werden zwar oft als Folklore belächelt. Für Unternehmen ist es aber die Chance, mit einer grösseren Öffentlichkeit in Kontakt zu treten, sehr unmittelbar wahrzunehmen, wie es um den eigenen Ruf bestellt ist und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen für die weitere Zukunft.