Kernkraftwerke lieferten verlässlich und klimafreundlich Strom, deshalb seien sie unerlässlich, was die aktuelle Energiekrise zeige. So argumentiert die Kernkraftindustrie. Das überzeugt offenbar. Standen doch in einer kürzlich publizierten Umfrage 52 Prozent der Schweizer Bevölkerung der Atomkraft positiv gegenüber und würden gar einer Aufhebung des Neubauverbots zustimmen.
Die Atomkraft ist der eigentliche Auslöser der heutigen Energiekrise.
Die Kernkraft komme viel zu gut weg in der öffentlichen Wahrnehmung, findet Daniel Sägesser, Basler SP-Grossrat und Mitgründer eines Solarmodulherstellers. Für ihn ist die Atomkraft «nicht nur mitschuldig, sondern der eigentliche Auslöser der heutigen Energiekrise».
Als Beleg führt er Zahlen zu den Produktionsausfällen der französischen Kernkraftwerke an, die schon vor einem Jahr und damit lange vor dem Ukraine-Krieg begonnen haben. So seien 2021 in Frankreich vor allem wegen technischer Probleme 94 Terawattstunden weniger Strom aus Kernkraft produziert worden, als zu erwarten war.
Ukraine-Krieg als zusätzlicher Booster
Weil weniger französischer Atomstrom floss, produzierten laut Sägesser andere Kraftwerke vor allem in Deutschland mehr Strom mit Gas. Entsprechend seien bereits per letzten Winter die Gasreserven sehr tief gewesen – weil sehr viel Gas direkt verstromt worden sei: «Der Ukraine-Krieg war dann der zusätzliche Booster und Europa entsprechend schlecht vorbereitet.»
Wie sich die heutige Lage ohne Ukraine-Krieg präsentieren würde, darüber kann man streiten. Mit Sicherheit hat sich die Lage der französischen Kernkraftwerke in diesem Sommer zusätzlich verschärft: Rund die Hälfte steht still. Um die Kapazität zu ersetzen, muss laut Berechnungen des Berner Energiekonzerns BKW rund dreieinhalbmal so viel Gas verstromt werden, wie derzeit noch durch die Leitung Nordstream 1 von Russland nach Deutschland fliesst.
Nuklearforum widerspricht
Es sei grundsätzlich immer falsch, Technologien gegeneinander auszuspielen, entgegnet Lukas Aebi, Geschäftsführer des Nuklearforums. Diesen Fehler könne sich angesichts der kommenden Herausforderungen niemand leisten.
Aebi erinnert, dass die Abhängigkeit von Gas in Europa auch mit dem Atomausstieg Deutschlands nach Fukushima zusammenhänge: «Man war sich einig, dass es für eine Übergangszeit nach wie vor Bandenergie braucht. Dabei wurde Kernenergie durch Gaskraftwerke ersetzt.»
Technische Probleme – und Klimawandel
Dass die französischen Kernkraftwerke seit längerem nicht die normale Leistung bringen, stellt Aebi nicht in Abrede: Wegen Korrosionsproblemen seien aktuell zwölf der 56 französischen Reaktoren nicht am Netz. Andere seien aber wegen der tiefen Pegelstände der Kühlflüsse im Hitzesommer nicht in Betrieb: «Dort ist der Klimawandel verantwortlich und nicht die Technologie.»
Die Schweizer Kernkraftwerke gehörten zu den zuverlässigsten weltweit, betont Aebi. Sägesser räumt ein, dass die AKWs hierzulande in den letzten Monaten ungefähr die erwartete Leistung erbringen. Doch das sei in den vergangenen Jahren nicht immer so gewesen und angesichts des Alters von Beznau, Gösgen und Leibstadt müsse immer mit kurzfristigen Ausfällen gerechnet werden.
Ist die Kernkraft also zu Recht in der Schweiz wieder populärer oder nicht? Die Kernkraft wird ihr positives Image wohl nur halten können, wenn die Schweizer Reaktoren auch im Winter zuverlässig liefern. Wenn dann möglichst viele französische AKW wieder am Netz wären, würde das wohl auch helfen.