«Ist das ein Fehler?», fragt sich Basil*, als er am Mittwoch ins Büro kommt und den Aktienkurs der Credit Suisse sieht. Nein, es ist kein Fehler: Die CS erlebt an diesem Tag einen Bankrun. Die Kundinnen und Kunden ziehen massenweise Geld ab, 13.2 Milliarden Franken allein an diesem Mittwoch. Basil, damals Aktienanalyst bei der CS, sieht zu, wie der Kurs in den Keller stürzt. In einem Anflug von Galgenhumor witzelt er mit seinen Mitarbeitenden, dass eine CS-Aktie nicht mal mehr genug wert ist, um sich damit einen Kaffee zu kaufen.
Beruhigung in der Bar
Basil spürt, dass etwas im Argen liegt. Er fragt intern nach – und tatsächlich: Es sei nicht klar, ob die Credit Suisse den Tag überlebt, heisst es von einem Kollegen, der die Marktentwicklung im Blick hat. «Das war ein Schock», sagt Basil. Noch am selben Abend verschickt er zwei Bewerbungen an andere Banken. «Wenn's hart auf hart kommt, willst du der Erste sein, der sich bewirbt. Bevor der grosse Run kommt.»
Später trifft er sich mit Freunden in einer Bar, um Fussball zu gucken und sich abzulenken. In der Halbzeitpause erreichen ihn Medienberichte über ein gemeinsames Statement der Schweizerischen Nationalbank und der Aufsichtsbehörde Finma. Die Credit Suisse erfülle die Anforderungen an Kapital und Liquidität, falls nötig, werde die Nationalbank Geld einschiessen. «Ein gutes Signal», denkt sich Basil. Doch er täuscht sich. Hinter den Kulissen ist für Bund und Behörden bereits an diesem Abend klar: Die Bank ist am Ende.
Liveticker auf dem Skilift
Abseits der Öffentlichkeit arbeiten die Schweizer Institutionen unter Hochdruck daran, eine Lösung für die kollabierende Grossbank zu finden. Sie bereiten die Übernahme durch die UBS vor – aus Sicht der CS-Mitarbeitenden die grösste Rivalin. «Die UBS war unsere grösste Konkurrenz. Das sind die Roten mit den drei Schlüsseln, wir sind die Blauen mit den Segeln», sagt Sophie*. Sie hat bei der Credit Suisse unter anderem in der Kundenberatung gearbeitet. «Der Blick auf die Konkurrenz ist in diesem Bereich wichtig. Und plötzlich bist du das, wovon du dich immer abgegrenzt hast.»
Auch für Basil ist die Übernahme durch die UBS in diesen Tagen nicht vorstellbar. «Von einer Übernahme durch die UBS war in meinem Umfeld nie die Rede. Mir kommt das so surreal vor.» Das Thema dominiert am Samstag die Medien. Basil verfolgt die Entwicklungen vom Skilift aus und liest, wie über den Preis für seine Arbeitgeberin spekuliert wird. Eine Milliarde Franken wolle die UBS bezahlen, heisst es. «Das hat für mich gar keinen Sinn gemacht. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Credit Suisse so günstig verkauft wird.»
Nach dem Deal bleibt die Ratlosigkeit
Am Sonntagabend ist es so weit. Rico* arbeitet damals in der CS-Produktentwicklung. Er sitzt mit seiner Freundin in einem indischen Restaurant. Als er mitkriegt, dass der Bundesrat eine Medienkonferenz zur Credit Suisse einberufen hat, denkt er sich: «Jetzt ist wohl Ende Gelände.» Das Essen kann er nicht mehr geniessen, er macht sich ernsthafte Sorgen um seine Stelle. Auf dem Heimweg verfolgen die beiden, wie die Übernahme verkündet wird. «Als wir zu Hause waren, sass ich im dunklen Zimmer auf meinem Bett und starrte aufs Handy. Muss ich morgen überhaupt zur Arbeit?»
Als Rico am Montagmorgen nach der Übernahme ins Büro kommt, ist es so voll wie noch nie. Er setzt sich an den PC und schaut ein paar Mails an. «Kurz darauf ist ein Kollege aufgestanden und hat in den Raum hinein gefragt: ‹Wer kommt auf einen Kaffee?› Da haben sich bestimmt 20 bis 30 Leute angeschlossen. Wir wussten nicht, was wir tun sollten. Also haben wir Kaffee getrunken.»
* Name geändert