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Erneuerbare Energien Ja zum Stromgesetz heisst nicht Ja zu konkreten Energieprojekten

Der Weg für einheimischen Strom aus Wind, Wasser und Sonne bleibt steinig. Rund 40 Gemeinden im Alpenraum haben in den vergangenen Monaten über solche Projekte abgestimmt. Die Entscheide lassen ein Muster erkennen.

Davos, die Lenk oder die Gemeinde Obergoms haben jüngst Ja gesagt zum Stromgesetz. Diese Gemeinden haben auch Ja gesagt zu einer grossen alpinen Solaranlage auf ihrem Gemeindegebiet – so wie 20 andere Gemeinden auch.

Das zeigt: «Ein wesentlicher Teil der Bevölkerung ist der Meinung, dass diese Energietransition vorangetragen werden soll», sagt Isabelle Stadelmann. Sie ist Professorin an der Universität Bern und forscht zur Akzeptanz von erneuerbaren Energieprojekten.

Stromgesetz ja, alpine Solaranlagen nein

Die Bevölkerung bietet also Hand für neue Energievorhaben. Allerdings ist das nur ein Teil des Bildes. In Saanen im Berner Oberland, in Ilanz im Kanton Graubünden oder in Varen im Kanton Wallis haben die Stimmberechtigten auch Ja gesagt zum Stromgesetz.

Aber dieselben Stimmberechtigten haben alpine Solaranlagen abgelehnt. Insgesamt ist das in rund einem Dutzend Gemeinden der Fall.

Diesen Widerspruch erklärt sich die Politologin Stadelmann so: «Es sind zwei unterschiedliche Dinge, ob man einem Gesetz zustimmt, das zwar konkrete Massnahmen beinhaltet, aber nicht ein Projekt in der eigenen Gemeinde betrifft. Oder ob man über ein konkretes Vorhaben am eigenen Wohnort entscheiden muss.»

Lokal spielt die konkrete Ausgestaltung des Projekts eine wesentliche Rolle, ob man einem Vorhaben zustimmt oder es ablehnt. «Es gibt so etwas wie eine qualitative Opposition», sagt Stadelmann.

Jemand könne also für diese Anlagen sein, auch in der eigenen Gemeinde. Aber dieselbe Person könne am konkreten Projekt Kritik üben und es nicht unterstützen. Dieses Muster kommt auch bei den Abstimmungen über alpine Solaranlagen zum Vorschein.

Lokale Unterstützung kann für den Ausgang entscheidend sein

Was heisst das nun für all die Windparks, Wasserkraftwerke und Solaranlagen, die im Rahmen des Stromgesetzes in den kommenden Jahren geplant werden? Für die lokale Bevölkerung komme es immer sehr stark auf das einzelne Projekt an, so Stadelmann. «Wo steht das genau? Wie gross ist es? Wie teuer ist es?»

Und es gebe eine Reihe anderer Faktoren. So hätten Studien gezeigt, dass die lokale Unterstützung wichtig sei, also «Personen in der Gemeinde, die vorne hinstehen und sagen ‹Das ist ein wichtiges Projekt›. Wenn zum Beispiel der Gemeinderat nicht hinter einem Projekt steht, wird es meistens schwierig.»

Kuh auf Wiese vor Windkraftanlagen.
Legende: Der Windpark auf dem Mont Crosin im Berner Jura gilt als Vorzeigeprojekt – auch, was die Akzeptanz der Bevölkerung für die Anlage angeht. Auf dem benachbarten Mont Soleil soll nun auch die Photovoltaik-Anlage erweitert werden. Keystone/Jean-Christophe Bott

Hinzu kommt: Solarprojekte sind nicht einfach ein Selbstläufer, auch wenn Strom aus der Sonne bei der Bevölkerung viel Sympathie geniesst. Auf Dächern sind Solaranlagen unbestritten. Bei grossen frei stehenden Solaranlagen sehe es hingegen anders aus, weiss die Professorin.

Zwei aktuelle Beispiele aus der Praxis

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Wie entscheidend die lokale Unterstützung ist, zeigt exemplarisch das Beispiel der Berner Oberländer Gemeinde Oberwil im Simmental. Dort plant ein umtriebiger Bergbauer aus dem Dorf zusammen mit Gleichgesinnten die alpine Solaranlage «Morgeten». Die Initianten haben auch eine Mehrheit im Dorf von ihrem Vorhaben überzeugen können. Gleichzeitig hat aber dieselbe Bevölkerung das Stromgesetz – als eine der wenigen Gemeinden in der Schweiz – mit 63 Prozent Nein abgelehnt. Inzwischen ist das Projekt so weit fortgeschritten, dass die Solaranlage «Morgeten» als erste Anlage schweizweit die Bewilligung des Kantons erhalten hat.

Oder das Beispiel des Basler Energieversorgers IWB: Das Unternehmen hatte zwei alpine Solaranlagen geplant; eine in Disentis, eine zweite Anlage in Meiringen. Beide Vorhaben hat die jeweilige Stimmbevölkerung abgelehnt. Zudem ist die IWB noch an zwei weiteren Projekten beteiligt, die von den Gemeindeversammlungen gutgeheissen worden sind. Die IWB bilanziert deshalb nun: «Nach unserer Erfahrung und Beobachtung wirkt sich eine lokale Verankerung zum Beispiel über Partnerschaften oder lokale Stromabnehmer positiv auf die lokale Akzeptanz aus.»

«Freiflächen-Photovoltaik hat etwa ähnliche Zustimmungsraten wie Wind-, Kleinwasserkraft- oder Nuklearenergie. Über diese Energiequellen ist die Bevölkerung gespalten», so Stadelmann. Folglich muss ein Projekt besonders überzeugend sein, damit es Zuspruch erfährt.

Es braucht Fingerspitzengefühl

Das Beispiel der alpinen Solaranlagen zeigt, dass die Bevölkerung durchaus neue Energievorhaben akzeptiert. Allerdings sind die Details und die konkrete Ausgestaltung entscheidend.

Die Energieunternehmen werden viel Fingerspitzengefühl beweisen müssen, wenn ihre Projekte bei der lokalen Bevölkerung eine Chance haben sollen.

Echo der Zeit, 26.06.2024, 18 Uhr

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