Bei Boeing liegt vieles im Argen seit Jahren. Zuletzt waren es vor allem schwere Pannen und Qualitätsmängel, die den Flugzeughersteller in die Schlagzeilen brachten: Teile von Seitenverkleidungen oder von Triebwerken, die sich lösten, falsch gebohrte Löcher, Schrauben, die locker waren oder Elektronik, die nicht funktionierte.
Und das in der Luftfahrt, wo Vertrauen in die Sicherheit das A und O ist. Geht gar nicht, meint auch die Aviatikexpertin Laura Frommberg. «Boeing muss sich grundlegend neu erfinden. Dazu gehört auch, die Unternehmenskultur komplett umzukrempeln.»
Klarer Kurs
Mit diesem Auftrag war erst vor kurzem der neue Boeing-Chef Kelly Ortberg angetreten. Jetzt ist der Kurs klar: ein massiver Stellenabbau, der insbesondere auch das Management betrifft, und eine Pause beim Bau neuer Flugzeuge.
Ein heftiger Schritt, findet auch Laura Frommberg, die als Chefredakteurin des Schweizer Online Aviatikmagazins «Aerotelegraph» Boeing seit langem beobachtet. Aber sie zeigt auch Verständnis und sogar Respekt. Es sei ein regelrechter Befreiungsschlag.
«Dieser Schritt ist zwar sehr heftig, aber auf seine Weise auch mutig und vor allem nötig. Denn wie sonst soll das denn funktionieren? So eine neue Ausrichtung kostet Geld und irgendwo muss man das herbekommen. Insofern sind diese Einschnitte jetzt nötig», so Frommberg.
Denn das Geld fehlt Boeing an allen Ecken und Enden, und nicht erst, seit im September Tausende von Boeing-Mitarbeitenden in den Produktionsstätten rund um Seattle in den Streik getreten sind. Der Ausstand mag den Druck für tiefgreifende Entscheide und eine klare Ansage akzentuiert haben, so Aviatikexpertin Fromberg. Ausschlaggebend sei das nicht gewesen.
Die Malaise bei Boeing liege viel tiefer und habe damit zu tun, dass man sich zu lange zu sehr um die Interessen der Aktionäre gekümmert habe und weniger um die Sicherheit der Flugzeuge, so Frommberg.
«Angstkultur» bei Boeing
Durch den Konkurrenzkampf und den Druck, schnell zu liefern, seien Zweifel oder Sicherheitsbedenken oft auf der Strecke geblieben – mit fatalen Folgen. Eine Art Angstkultur sei entstanden, so Laura Frommberg, und zwar auf allen Ebenen.
«Der Konzern hat in den letzten Jahren viel falsch gemacht. Er muss beweisen, dass man das jetzt ändern will. Und dass man von dieser Kultur, in der sich Leute nicht mehr trauen, Fehler zu melden, abkommen will, dass man ehrlicher und transparenter ist.»
Gegenwind wird erwartet
Klare Ansagen machen und den unbedingten Willen für Veränderung zeigen – diese Erwartungen hat der neue Boeing-Chef schon mal erfüllt. Ob der Neustart dann auch gelingt, wird sich zeigen. Heftiger Gegenwind dürfte auf jeden Fall von der Gewerkschaft kommen.