Punkto Inflation steht die Schweiz im Vergleich zum Ausland weiterhin gut da, aber auch hierzulande steigt die Teuerung – und zwar schneller als erwartet. Im Mai lag die Jahresteuerung bei 2.9 Prozent und damit nochmals höher als im Vormonat.
Wenn das Leben teurer wird, dann müssten doch eigentlich auch die Löhne steigen. Chefinnen und Chefs von Schweizer Unternehmen müssen sich darauf einstellen. SRF fragte am Swiss Economic Forum (SEF) in Interlaken nach.
Lohnerhöhungen: nicht überall realistisch
«Wir hören im Gespräch mit Angestellten immer wieder von steigenden Lebensunterhaltskosten», sagt Immobilien-Vermarkter Ramon Kälin von Sanjo Management. Er bereite sich deshalb auf Lohnforderungen vor.
Branchen, denen es wirtschaftlich gut läuft, haben eher Spielraum. Und auch solche, die um Leute kämpfen. André Lagler, Chef der Immobilien-Managementfirma Acron, sagt: «Wir haben ein Problem, Personal zu finden: in den USA und in der Schweiz. Es werden höhere Löhne verlangt, auch inflationsbedingt. Das hat Auswirkungen auf die Rendite».
In einigen Branchen seien die Chancen gut, höhere Löhne zu erhalten, sagt Jan-Egbert Sturm, Direktor der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH, zum Beispiel in der Pharma- oder Chemieindustrie. «Man versucht, an die richtigen Arbeitskräfte heranzukommen. Das macht die Verhandlungsposition für die Arbeitnehmer besser als auch schon.»
Corona und Lieferengpässe bremsen Lohnerhöhungen
Viele Unternehmen haben jedoch wegen Corona zwei wirtschaftlich schwierige Jahre hinter sich. So auch in der Modebranche. Silvia Bayard, Chefin der Modekette Bayard, sagt, man sei nun zwar recht gut unterwegs, aber: «Wir haben noch nicht das Budget dafür.» Lohnerhöhungen hängen davon ab, wie sich das Geschäft in naher Zukunft entwickle. «Sie sind eher gegen Jahresende ein Thema.»
Wir haben noch nicht das Budget dafür.
Bedeckt gibt sich der SBB-Chef Vincent Ducrot. Auch er verweist auf die Lohnverhandlungen im Herbst und sagt: «Bis dahin kann sich noch sehr viel ändern.»
Viele Unternehmen hätten kaum Spielraum für Lohnerhöhungen, sagt Jan-Egbert Sturm: «Die Zukunftsaussichten sind wegen der Lieferengpässe und des Ukraine-Kriegs düsterer, als sie sonst wären.» Das seien die Argumente auf Arbeitgeberseite gegen Lohnerhöhungen. Als eine der Branchen mit geringen Aussichten auf höhere Löhne nennt Sturm die Schweizer Auto-Zuliefererbranche, weil diese von der deutschen Industrie abhänge, die mit Strukturproblemen kämpfe.
Generell seien Löhne eher starr und passten sich nicht sofort dem Konjunkturzyklus an, so der Konjunktur-Experte.
«Zückerchen» Homeoffice anstatt Lohnerhöhung
Anstelle von Lohnerhöhungen bringen Firmenchefs andere Vorzüge ins Spiel, um die Angestellten bei Laune zu behalten: «Uns hilft die Homeoffice-Regelung, die wir in einigen Ländern haben, dass Mitarbeiter zwei Tage pro Woche zu Hause arbeiten können, sagt Christa Furter, Chefin des Verpackungs-Anbieters Viking Europe. «Das kompensiert einiges von den Forderungen der Mitarbeitenden.»
Geld alleine sei nicht alles, sagt Jürg Bacher, VR-Präsident der Bacher AG. Ein guter Arbeitsfrieden sei ebenso wichtig: «Den Leuten muss es primär sozial gut gehen. Sie müssen sich wohlfühlen beim Arbeitgeber.» Ein gutes Arbeitsklima sei entscheidend: «Das sind Komponenten, die nicht bezahlbar sind und manchmal mehr wert als der Lohn.»
Ob das die Arbeitnehmenden auch so sehen? Aus Arbeitgeber-Sicht scheinen die Aussichten auf höhere Löhne jedenfalls eher beschränkt.