Es ist die neuste Hiobsbotschaft aus der deutschen Wirtschaft: Der VW-Konzern will mindestens drei Werke schliessen, Zehntausende Arbeitsplätze könnten verloren gehen. Die Ökonomin Nicola Fuchs-Schündeln erklärt, woran der deutsche Patient krankt – und was zu tun ist.
SRF News: Wie schlecht steht es um die deutsche Wirtschaft?
Nicola Fuchs-Schündeln: Kurzfristig betrachtet befindet sie sich in einer Rezession. Das ist zweifelsohne ein Problem. Die deutsche Wirtschaft steht aber auch mittel- und langfristig vor grossen Herausforderungen, die von der Politik angegangen werden müssen.
Die Abbaupläne bei VW sorgen für Aufsehen. In welchen Bereichen kriselt es in Deutschland besonders?
In der Tat gab es in der Industrie grössere Rückschläge. Die deutsche Wirtschaft hat aber insgesamt strukturelle Probleme, allen voran die Bürokratie und den demographischen Wandel, aus dem ein Mangel an Arbeitskräften resultiert. Der derzeitigen Regierung fällt es schwer, hier einen klaren Weg aufzuzeigen. Dadurch fehlt den Unternehmen das nötige Vertrauen, um zu investieren.
In Deutschland beklagen sich nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Haushalte über zu viel Bürokratie. Oft hört man die Kritik, dass das an der EU liege. Deutschland ist aber oftmals sehr strikt bei der Umsetzung von Richtlinien. Die Botschaft, dass etwas getan werden muss, ist zwar angekommen bei der Politik. Aber den Bürokratieabbau anzugehen, ist sehr schwierig.
Mangelt es Deutschland auch an Innovationskraft?
Das glaube ich nicht. Aber es mangelt am Willen, ins Risiko zu gehen und gewisse Dinge umzusetzen. Bei Innovationen geht es immer auch um die Finanzierung. Startups verfügen in Deutschland zwar am Anfang über genügend Kapital. Es fehlt aber ein starker Kapitalmarkt, wie es ihn in den USA gibt, um fortlaufend Investitionen sicherzustellen.
In der Koalition herrscht oft individueller Aktionismus.
2023 lag Deutschland mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 34.4 Stunden unter dem europäischen Durchschnitt. Mangelt es an Arbeitsmoral oder sind die Menschen erschöpft?
Der Grund dafür sind meines Erachtens weder mangelnde Arbeitsmoral noch Erschöpfung. Es ist auch ein Wohlstandsphänomen: Man kann es sich leisten, das Arbeitspensum auf 80 Prozent zu reduzieren und nimmt dafür Einkommenseinbussen in Kauf. In Deutschland arbeitet allerdings insbesondere die Gruppe der verheiraten Frauen sehr wenig.
Die OECD und der Internationale Währungsfonds fordern seit Jahren, bessere Arbeitsbedingungen und mehr Arbeitsanreize für Frauen zu schaffen. Zum einen, indem man die Kinderbetreuung ausbaut. Zum anderen bietet das System des Ehegattensplittings steuerlich wenig Anreize für Zweitverdiener (durch das Ehegattensplitting können verheiratete Paare Steuern sparen. Kritiker argumentieren, dass dies Frauen von Berufskarrieren abhalte, Anm. der Red.)
Im Sommer hat die Regierung eine Wachstumsinitiative angekündigt. Unter anderem will sie mehr Arbeitsanreize schaffen, Bürokratie abbauen und Energiekosten senken. Reicht das?
In der Wachstumsinitiative werden die grossen Probleme der deutschen Wirtschaft erwähnt und Massnahmen aufgeführt. Wenn es sich die Regierung zum Ziel machen würde, diese Massnahmen auch auf den Weg zu bringen, wären wir einen grossen Schritt weiter. In der Koalition herrscht aber oft individueller Aktionismus. Das führt dazu, dass die Sicherheit fehlt, wo die Politik hingeht. In Zeiten grosser Unsicherheit sind Firmen nicht bereit zu investieren und die Haushalte wollen nicht konsumieren.
Das Gespräch führte Brigitte Kramer.